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Mo 30 Dez 2024 18:33:09
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Das aktuelle Thema.
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Viel Lärm um (fast) nichts
Der neue Gesetzesentwurf zur »gewerblichen Lebensbewältigungshilfe«
von Vicky Gabriel
Es gibt ein paar Dinge auf der Welt, zu denen ich meinen Schnabel einfach nicht halten kann - und das Theater um das neue Gesetz zur »gewerblichen Lebensbewältigungshilfe» (allein dieser Begriff zeugt schon von enormer Kreativität!) gehört dazu. Seit Tagen scheuchen mich Freunde und Bekannte aus allen Himmelsrichtungen mit Hiobsbotschaften à la »wenn das durchkommt, dürfen wir gar nichts mehr anbieten« und »dann ist es ja nur noch Ärzten, Diplompsychologen und den Vertretern der Amtskirchen erlaubt, alternative Lebenshilfe durchzuführen« so regelmäßig auf, daß ich ziemlich beunruhigt begann, mich mal nach den Fakten - sprich: dem tatsächlichen Gesetzesentwurf - umzusehen. Und als ich ihn hatte, wurde ich sauer, und das bei weitem nicht nur auf die Damen und Herren Gesetzgeber/innen.
Entschuldigt bitte, aber wer brüllt denn hier seit Jahren nach gesetzlichen Regelungen, die sogenannten Scharlatanen endlich das Handwerk legen und uns eine Möglichkeit geben, uns von den reinen Geldmachern in der Szene abgrenzen zu können? Wir wissen doch alle, daß eine solche Regelung dringend notwendig und seit langem überfällig ist. Der Text zur Unterschriftenliste der »Interessengemeinschaft Lebenskunst« ist ambitioniert, aber meiner Ansicht nach doch etwas unreflektiert. Mal ganz abgesehen davon, daß in weiten Kreisen der betroffenen Alternativszene eine verständliche Hemmung herrscht, sich gerade in diesem Moment mit Anschrift, Namen und Tätigkeit in einem Dokument zu verewigen, das schnurstracks zu den zuständigen Behörden geht. Und ob das diesmal nur eine Frage der Zivilcourage oder nicht auch des gesunden Menschenverstandes ist, stelle ich jetzt zur Diskussion.
Das Gesetz zur gewerblichen Lebensbewältigungshilfe
Pro:
dieses Gesetz ermöglicht es Menschen, die in der Tat nur ausgenutzt wurden oder denen während sogenannter Behandlungen Schaden zugefügt wurde, endlich eine wirksame Gegenwehr.
der Klient wird großartige Versprechungen von seiten unseriöser Anbieter in Zukunft nach Strich und Faden einfordern können, was Angebote im »in drei Tagen zur Erleuchtung«-Strickmuster erheblich einschränken wird.
der Entwurf ist im Zusammenhang mit großen, kommerziell ausgerichteten Organisationen wie Scientology der erste vernünftige Lösungsansatz, der meiner Ansicht nach weitaus mehr ausrichten wird als die ganze Beobachtung durch den Verfassungsschutz, wie sie bisher durchgeführt oder auch nur darüber diskutiert wurde.
das Gesetz liefert endlich klare Haftungsbestimmungen, die den oberflächlichen und leider oft auch unverantwortlich arbeitenden esoterischen Markt zwingen werden, sich neu zu strukturieren
unseriös arbeitenden Personen oder Gemeinschaften kann endlich die Verantwortung für ihr Tun aufgezwungen werden.
wenn Astrologie, Tarot, alternative Heilweisen, Körpererfahrung und so fort in der Tat ähnlich wirksam sind wie schulmedizinische oder klassisch-therapeutische Verfahren (wovon man in der alternativen Behandlerszene ja schließlich grundsätzlich ausgeht), ist es nur recht und billig, daß diese Verfahren der gleichen Verantwortlichkeit und Haftungspflicht unterliegen, wie man sie auch von Ärzten oder Diplompsychologen erwartet.
Contra:
es liegt keine Gleichstellung von klassischen und alternativen Behandlungsformen von seiten des Gesetzgebers vor.
spontane Soforthilfe wird aufgrund des vierwöchigen Rücktrittsrechts des Klienten unmöglich gemacht.
die Beweislastumkehr ist weder im klassischen noch im alternativen Behandlungsbereich sinnvoll, da viele Maßnahmen hier wie dort sogenannte »Erstverschlechterungen« hervorrufen (man denke hier z.B. an chirurgische Eingriffe, die den Zustand des Patienten zunächst extrem verschlechtern, um dann aber dauernde Heilungsfolgen zu haben oder an die Erstverschlechterungssymptome bei homöopathischen oder jeder anderen Art aufdeckender Behandlungen).
die Seriosität der vom Entwurf eindeutig ausgeschlossenen Personenkreise kann keineswegs von vornherein als gegeben angesehen werden, wie die Vorfälle im Januar um eine auf Teneriffa ansässige, von einer Diplompsychologin geführten Selbstmordsekte mal wieder eindeutig gezeigt haben; auch ist bei bestimmten Disziplinen wie z.B. der Meditation, der Astrologie oder fernöstlichen Heil- und Selbsterfahrungsweisen wie Qi-Gong oder Reiki bei vielen der jetzigen Anbieter ein weitaus besserer Ausbildungsstand anzunehmen als bei den vom Gesetz ausgenommenen Gruppen.
Es gibt also viele nützliche und notwendige Seiten an diesem Gesetzesentwurf - und ebenso einige, die ihn in der Gesamtdurchführung von vornherein unmöglich machen. Demzufolge sehe ich keinen Sinn darin, sich gegen den Entwurf als Ganzes zu wehren, da zu einer solchen Einstellung wohl nur jene Personen Anlaß haben, die auch bei einer Herausnahme der Contra-Punkte nach wie vor betroffen wären: die »Scharlatane«. Nur, wer unverantwortlich handelt, muß sich davor fürchten, zur Rechenschaft gezogen zu werden, und wenn wir alle gegen das gesamte Gesetz protestieren, stellen wir uns damit in den Augen des Gesetzgebers auf eine Stufe mit jenen Individuen, deren Handlungsweisen tatsächlich schädlich sind und denen dieser Entwurf ja letztendlich gilt.
Wenn wir uns einerseits dafür stark machen, daß alternative Behandlungs- und Beratungsformen die gleiche öffentliche Anerkennung erhalten wie klassische Methoden, müssen wir andererseits auch dazu bereit sein, auf alternative Behandler dieselben Maßstäbe anzuwenden wie auf Schulmediziner, Diplomtherapeuten und die berühmten »Vertreter der Amtskirchen«. Doch das ist in der Praxis äußerst selten der Fall; wenige der auf dem alternativen Markt vertretenen Behandler verfügen auf ihrem Gebiet über eine Ausbildung, die jener der vom Gesetzesentwurf ausgenommenen Personenkreise bezüglich Dauer und Umfang entspricht. In vielen Disziplinen, wo dies jedoch der Fall ist (wie z.B. Astrologie, Körperarbeit etc.), gibt es auch entsprechende Dachverbände, die um eine Regelung dieser Zustände bemüht sind. Diese wären zum einen geeignete Gesprächspartner für die das Gesetz vorantreibenden Behörden, zum anderen aber auch die einzigen Gremien, die in der Lage sind, durch verbindliche gesetzliche Regelungen in Zusammenarbeit mit dem Gesetzgeber eine Angebotssituation zu schaffen, die für den Klienten »wasserdicht« ist.
Natürlich findet die allgemeine Lebensberatung auch momentan nicht im rechtsfreien Raum statt; doch daß dieser Raum bei weitem noch zu viele Schlupflöcher für eher zweifelhafte Einzelpersonen und Organisationen bietet, haben zu viele vergebliche Versuche, diese sogenannten »Helfer« zur Rechenschaft zu ziehen, deutlich gezeigt. Es trifft einfach nicht zu, daß hier kein Handlungsbedarf besteht. Die momentan weit verbreitete, empört-kämpferische Antihaltung gegenüber dem Entwurf trägt weder zu unserer Glaubwürdigkeit noch dazu bei, daß beide Seiten gemeinsam produktive Gespräche führen können, deren Ergebnisse seriösen Behandlern weiterhin eine sinnvolle Arbeitsweise ermöglichen, die jedoch all jenen Personen, die mit diesem Gesetzesentwurf wirklich gemeint sind, deutliche Einschränkungen auferlegen würden.
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Quelle: Hag & Hexe - Magazin für Schamanismus, Magie und Naturreligion,
Nr. 10, 2/98, S. 44-45
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Der Inhalt dieser Seite wurde am 31.08.2024 um 13.37 Uhr aktualisiert.
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