Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 40/2000 vom 29. März 2000
Dazu Beschluss vom 16. März 2000 - Az. 1 BvR 1453/99 -
Erneute erfolglose Verfassungsbeschwerde im Zusammenhang mit dem
Psychotherapeutengesetz
Nachdem bereits mit Beschlüssen vom 28. Juli 1999 Verfassungsbeschwerden
(Vb) zum Psychotherapeutengesetz (PsychThG) nicht angenommen wurden
(Pressemitteilung Nr. 83/99), hat die 2. Kammer des Ersten Senats des
BVerfG erneut eine Vb im Zusammenhang mit dem PsychThG nicht zur
Entscheidung angenommen. Die Vb betraf die Rechtsstellung der im Bereich
der Psychotherapie tätigen Heilpraktiker ohne abgeschlossenes
Psychologiestudium. Solche bereits im Berufsfeld tätigen Personen werden
von den Übergangsregelungen des PsychThG nicht erfasst. Sie erhalten
weder eine Approbation noch werden sie zur vertragsärztlichen Versorgung
zugelassen.
Das PsychThG hat zwei neue Heilberufe in das Gesundheitssystem
eingeführt: den Beruf des Psychologischen Psychotherapeuten und den des
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Für beide Berufsgruppen hat
der Gesetzgeber nunmehr die Approbation vorgesehen, die bisher Ärzten
vorbehalten war. Die Approbation ist eine der Voraussetzungen für eine
Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung, d.h. zur Behandlung der
gesetzlich Krankenversicherten, die bisher den zugelassenen
Vertragsärzten vorbehalten war. Voraussetzung für die Approbation als
Psychologischer Psychotherapeut ist eine mindestens dreijährige
Ausbildung zu diesem Beruf; Zugangsvoraussetzung dafür ist ein
erfolgreich abgeschlossenes Studium der Psychologie. Für eine
Approbation als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut kann die
Zugangsvoraussetzung auch durch ein erfolgreich abgeschlossenes Studium
der Pädagogik oder Sozialpädagogik erfüllt werden.
Die Übergangsvorschriften des PsychThG regeln, welche Personen, die
bereits in der Vergangenheit psychotherapeutisch tätig waren, die
Approbation erhalten. Dabei knüpft das Gesetz mit der Teilnahme am
Delegations- oder am Kostenerstattungsverfahren an die frühere
Mitwirkung bzw. die Qualifikation für eine solche Mitwirkung bei der
psychotherapeutischen Behandlung von gesetzlich Krankenversicherten an.
I.
Der Beschwerdeführer (Bf) ist Diplom-Sozialwissenschaftler und hat eine
psychotherapeutische Ausbildung zum Gestalt- und Körpertherapeuten
abgeschlossen. Er ist seit mehreren Jahren hauptberuflich selbständig
psychotherapeutisch tätig und hat auch gesetzlich Krankenversicherte auf
der Grundlage des Kostenerstattungsverfahrens nach § 13 Abs. 3 SGB V
behandelt. Sein Antrag auf Erteilung einer Approbation als
Psychologischer Psychotherapeut wurde abgelehnt, da er kein Studium der
Psychologie erfolgreich abgeschlossen habe. Der Antrag auf vorläufige
Erteilung der Approbation bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens
wurde im einstweiligen Rechtsschutzverfahren abgelehnt.
Gegen die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen und mittelbar gegen
das PsychThG erhob der Bf Vb und rügte die Verletzung des
Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) und seiner Berufsfreiheit
(Art. 12 Abs. 1 GG). Die Beschränkung der Approbation zum
Psychologischen Psychotherapeuten auf die Diplom-Psychologen verstoße
gegen Art. 3 Abs. 1 GG, denn auch andere akademische Abschlüsse könnten
eine gleichwertige Qualifikation vermitteln. Der Ausschluss von den
Übergangsregelungen führe zur Vernichtung seiner wirtschaftlichen
Existenz und sei nicht durch besonders wichtige Gemeinschaftsgüter wie
die Volksgesundheit zu rechtfertigen.
II.
Die 2. Kammer des Ersten Senats hat die Vb nicht zur Entscheidung
angenommen.
Zur Begründung heißt es u.a.:
1. Die Vb wirft keine grundsätzlichen Fragen auf, soweit es um die
berufsrechtliche Stellung der Psychotherapeuten ohne Psychologiestudium
geht, die bisher im weiten Berufsfeld der Psychotherapie tätig waren.
Der Gesetzgeber konnte das Berufsbild des Psychologischen
Psychotherapeuten als einen neuen Heilberuf auf akademischem Niveau
schaffen, der durch die berufs- und sozialversicherungsrechtliche
Gleichstellung mit den Ärzten besonders herausgehoben ist. Diese
Gleichstellung zwischen den Diplom-Psychologen mit psychotherapeutischer
Zusatzausbildung und den Ärzten mit einer entsprechenden Ausbildung
entspricht den allgemein akzeptierten gesundheitspolitischen
Grundentscheidungen des Gesetzgebers.
Die berufsrechtlich gewählte Begrenzung des Berufsbildes allein auf
Diplom-Psychologen ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
Zulassungsbeschränkungen in Form von Ausbildungsnachweisen,
Qualifikationsanforderungen und Regelungen zum Sachkundenachweis sind
zulässig, wenn sie als Voraussetzung zur ordnungsgemäßen Erfüllung des
Berufs und zum Schutz hoher Gemeinschaftsgüter erforderlich sind und
wenn sie nicht außer Verhältnis zum angestrebten Zweck stehen. Die
Zugangsvoraussetzung des abgeschlossenen Diplomstudiums dient dem Schutz
eines besonders wichtigen Gemeinwohlbelangs in Gestalt der Gesundheit
der Bevölkerung. Durch das vom Gesetzgeber gewählte Mittel des
erfolgreichen Abschlusses des Psychologiestudiums wird ein hohes
Qualifikationsniveau sichergestellt. Der Gesetzgeber konnte bei einer
typisierenden Betrachtung davon ausgehen, dass gerade durch ein
Psychologiestudium Kenntnisse und Inhalte vermittelt werden, die für die
Tätigkeit als Psychotherapeut wesentlich sind.
Zwar ist der Gesetzgeber verpflichtet, eine angemessene
Übergangsregelung für diejenigen vorzusehen, welche eine künftig
unzulässige Tätigkeit in der Vergangenheit in erlaubter Weise ausgeübt
haben. Hier aber hat der Gesetzgeber im Rahmen der Neuordnung durch das
PsychThG das bisherige Berufsfeld der psychotherapeutischen
Heilpraktiker nicht geschlossen. Sie dürfen mit ihrer bisherigen
Berufstätigkeit fortfahren, allerdings die Bezeichnung „Psychotherapeut“
bzw. „Psychologischer Psychotherapeut“ nicht mehr führen. Das ist aus
Gründen des Patientenschutzes und der vom Gesetzgeber erwünschten
Transparenz gerechtfertigt. Soweit dadurch faktische Auswirkungen auf
die im Berufsfeld verbleibenden psychotherapeutisch tätigen
Heilpraktiker entstehen, weil sie als minder qualifiziert angesehen
werden, wird der Schutzbereich der Berufsfreiheit nicht berührt. Das
Grundrecht auf Berufsfreiheit bietet grundsätzlich keinen Schutz gegen
neue Konkurrenz für einen Beruf, der selbst unangetastet bleibt.
2. Auch mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG kommt der Vb keine grundsätzliche
Bedeutung zu. Die Anknüpfung an ein erfolgreich abgeschlossenes Studium
der Psychologie stellt einen vernünftigen und sachgerechten Grund zur
Differenzierung unter den bereits im Berufsfeld tätigen Therapeuten dar.
Der Gesetzgeber verfolgte das Ziel, nur für solche Personen den Verbleib
im Beruf unter der neu geschaffenen Berufsbezeichnung zu garantieren,
die eine hohe Qualifikation für die Berufsausübung besitzen. Das
schließt zwar eine Erweiterung auf gleichwertige andere akademische
Ausbildungen oder Studiengänge, in denen im Einzelfall konkrete
psychotherapierelevante Lehrinhalte vermittelt wurden, nicht von
vornherein aus. Der Gesetzgeber ist hierzu aber nicht verpflichtet, wenn
er sich wie vorliegend auf Gründe der Praktikabilität und
Verwaltungsvereinfachung stützen kann. Eine weitere Verfeinerung der
bereits komplizierten Übergangsvorschrift, nach der im Einzelfall die
Qualifikation der Antragsteller hinsichtlich ihrer psychotherapeutischen
Zusatzausbildung und der Berufserfahrung nachgeprüft wird, ist nicht
geboten. Im Übrigen würde die Begrenzung auf ähnliche Studiengänge oder
Studiengänge mit psychotherapierelevanten Lehrinhalten andere
Abgrenzungsprobleme nach sich ziehen.
3. Unzulässig ist die Vb, soweit sich der Bf darauf beruft, dass er auf
Grund seiner bisherigen faktischen Beteiligung an der Versorgung der
gesetzlich Krankenversicherten im Wege des Kostenerstattungsverfahrens
aus Vertrauensschutzgründen oder aus Gründen des Bestandsschutzes zu dem
für die Psychotherapeuten erweiterten System der vertragsärztlichen
Versorgung als Leistungserbringer zuzulassen sei. Insoweit steht der Vb
der Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Der Bf ist, nachdem er den
Rechtsweg im Eilverfahren ausgeschöpft hat, auf die Erschöpfung des
Rechtswegs in der Hauptsache zu verweisen. Seine Rüge betrifft letztlich
die Versagung der Approbation, die von den Verwaltungsgerichten im
Hauptsacheverfahren zu prüfen ist. Dabei geht es nicht um die Frage, ob
aus Gründen der Volksgesundheit bestimmte bisher im Berufsfeld tätige
Therapeuten von der Zulassung zur bedarfsunabhängigen Versorgung
ausgeschlossen werden dürfen. Aufklärungs- und begründungsbedürftig ist
vielmehr, ob und wann durch die Kostenerstattung im Rahmen von § 13 Abs.
3 SGB V überhaupt ein schützenswertes Vertrauen begründet werden konnte,
welches durch das PsychThG in Verbindung mit den Änderungen des SGB V
enttäuscht wurde. Insbesondere muss vorgeklärt werden, ob eine
Abrechnung im Kostenerstattungsverfahren überhaupt rechtmäßig war, wenn
die Therapeuten nicht die persönliche Qualifikation für die Zulassung
zum Delegationsverfahren hatten. Weiter muss bei der Frage des
Bestandsschutzes aufgeklärt werden, wie hoch der Anteil an Einnahmen aus
dem Kostenerstattungsverfahren war. Diesem Anteil ist die
wirtschaftliche Position gegenüberzustellen, die durch die Zulassung zur
vertragsärztlichen Versorgung vermittelt würde. Weiter werden sich die
Fachgerichte mit der Frage beschäftigen müssen, ob Bestandsschutz nur
bei vorangegangener selbstständiger Tätigkeit in Betracht kommt.
Beschluss vom 16. März 2000 - Az. 1 BvR 1453/99 -
Karlsruhe, den 29. März 2000
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