Bundesverfassungsgericht Pressemitteilung Nr. 83 vom 05.08.1999
Erfolglose Verfassungsbeschwerden im Zusammenhang mit dem Psychotherapeutengesetz
Die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat zwei Verfassungsbeschwerden im Zusammenhang mit dem am 1. Januar 1999 in Kraft getretenen Psychotherapeutengesetz (PsychThG) nicht zur Entscheidung angenommen.
Eine Verfassungsbeschwerde betraf die Übergangsvorschrift im PsychThG, wonach nur Personen mit erfolgreich abgeschlossenem Studium der Psychologie die Approbation zum "Psychologischen Psychotherapeuten" erhalten können (s. unten I.).
Die zweite Verfassungsbeschwerde betraf die Vorschrift, die es lediglich Ärzten, Psychologischen Psychotherapeuten oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten erlaubt, die Berufsbezeichnung "Psychotherapeut" oder "Psychotherapeutin" zu führen (s. unten II.).
Das PsychThG hat zwei neue Heilberufe in das Gesundheitssystem eingeführt: Den Beruf des Psychologischen Psychotherapeuten und den des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Für beide Berufsgruppen hat der Gesetzgeber nunmehr die Approbation vorgesehen, die bisher Ärzten vorbehalten war. Die Approbation ist eine der Voraussetzungen für eine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung, d.h. zur Behandlung der gesetzlich Krankenversicherten, die bisher den zugelassenen Vertragsärzten vorbehalten war.
Voraussetzung für die Approbation als Psychologischer Psychotherapeut ist eine mindestens dreijährige Ausbildung zu diesem Beruf; Zugangsvoraussetzung dafür ist ein erfolgreich abgeschlossenes Studium der Psychologie.
Für eine Approbation als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut kann die Zugangsvoraussetzung auch durch ein erfolgreich abgeschlossenes Studium der Pädagogik oder Sozialpädagogik erfüllt werden.
I.
Die Übergangsvorschriften regeln, welche Personen, die bereits in der Vergangenheit psychotherapeutisch tätig waren, die Approbation erhalten. Danach gilt u.a. folgendes:
- Teilnahme am Delegationsverfahren
Delegation in der kassen- bzw. vertragsärztlichen Versorgung bedeutete, daß ein Psychotherapeut Behandlungskosten über einen zugelassenen Arzt zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abrechnen konnte. Der Arzt delegierte also die Behandlung des Patienten an einen Therapeuten.
Nach den Richtlinien und Vereinbarungen für die psychotherapeutische Versorgung waren dabei zur Teilnahme am Delegationsverfahren nur Diplom-Psychologen - für den Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie auch Diplom-Pädagogen und Diplom-Sozialpädagogen - berechtigt.
Therapeuten, die an diesem Verfahren in der Vergangenheit teilgenommen haben oder hätten teilnehmen können, erhalten bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen die Approbation nach dem PsychThG.
- Teilnahme am Kostenerstattungsverfahren
Psychotherapeutische Leistungen wurden außerhalb des strengeren und reglementierteren Delegationsverfahrens von Nicht-Ärzten auch im Wege des Kostenerstattungsverfahrens für gesetzlich Krankenversicherte erbracht. Dieses Verfahren gilt allgemein für vom Versicherten selbst beschaffte notwendige, unaufschiebbare therapeutische Leistungen, welche die Krankenkasse nicht rechtzeitig erbringen konnte oder rechtswidrig abgelehnt hat. Obwohl vom Gesetzgeber als Ausnahmefall konzipiert, erreichte aufgrund der Mangelsituation im Bereich der psychotherapeutischen Behandlungen das Ausgabevolumen für die Vergütung der Therapeuten im Wege der Kostenerstattung dieselbe Höhe wie die Ausgaben für das Delegationsverfahren. Der Gesetzgeber geht davon aus, daß in diesem Bereich ein "grauer Markt" psychotherapeutischer Leistungserbringung durch nicht am Delegationsverfahren beteiligte Psychotherapeuten entstanden war, in dem mögliche Defizite hinsichtlich der Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Behandlung hingenommen wurden.
Diplom-Psychologen, die an der Versorgung von Versicherten einer Krankenkasse im Wege der Kostenerstattung mitgewirkt haben und weitere ausbildungsbezogene Voraussetzungen erfüllen, erhalten ebenfalls nach dem neuen PsychThG eine Approbation. Entsprechendes gilt für Diplom-Pädagogen und Diplom-Sozialpädagogen bei der Approbation zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten.
Die Beschwerdeführerin, eine Diplom-Pädagogin, erhielt auf Antrag die Approbation als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Die Erteilung der Approbation als Psychologische Psychotherapeutin wurde abgelehnt, weil die Beschwerdeführerin kein Studium der Psychologie abgeschlossen hat. Anträge auf Gewährung gerichtlichen Eilrechtsschutzes blieben erfolglos. Gegen die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen und mittelbar gegen das PsychThG erhob die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde und rügte die Verletzung ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG). Die gesetzliche Eingrenzung auf die Diplom-Psychologen im Bereich der Erwachsenenpsychotherapie sei nicht durch besonders wichtige Gemeinschaftsgüter wie die Volksgesundheit zu rechtfertigen.
Die 2. Kammer des Ersten Senats hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
a) Sie ist unzulässig, da bereits der Rechtsweg nicht erschöpft ist. Die Beschwerdeführerin hat bisher die Verwaltungsgerichte lediglich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren mit dem Ziel angerufen, die Approbation nicht am fehlenden Psychologiestudium scheitern zu lassen. In einem Hauptsacheverfahren (Klage) müßte geklärt werden, ob die Beschwerdeführerin die übrigen Voraussetzungen für die Approbation erfüllt. Diese Sachverhaltsklärung kann dazu führen, daß die Anrufung des BVerfG entbehrlich wird.
b) Im übrigen ist zweifelhaft, ob das neue PsychThG überhaupt den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG berührt.
Zum einen wird das bisher nach dem Heilpraktikergesetz zulässige Tätigkeitsspektrum für psychotherapeutisch tätige Heilpraktiker nicht verändert. Zum anderen ändern sich auch nicht die rechtlichen Vorgaben für das Kostenerstattungsverfahren in der gesetzlichen Krankenversicherung. Daß die Beschwerdeführerin möglicherweise in der Zukunft keine Versicherten mehr auf der Grundlage des Kostenerstattungsverfahrens behandeln kann, weil im Bereich der psychotherapeutischen Behandlung keine Mangellage mehr gegeben sein wird, ist eine tatsächliche Veränderung. Sollte die tatsächliche Bedeutung des Kostenerstattungsverfahrens - wie vom Gesetzgeber ausdrücklich angestrebt - zurückgehen, gewährt Art. 12 Abs. 1 GG kein Recht auf Erhaltung des Geschäftsumfangs und die Sicherung weiterer Erwerbsmöglichkeiten.
c) Schließlich reicht das Begehren der Beschwerdeführerin weit über die Wahrung von Bestandsschutz hinaus.
Würde sie ohne die im PsychThG vorgeschriebene akademische Zugangsausbildung eine Approbation erhalten und zu der vertragsärztlichen Versorgung zugelassen, könnte sie alle gesetzlich Versicherten ohne Rücksicht auf die Ausnahmevoraussetzungen des Kostenerstattungsverfahrens zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung behandeln.
Beschluß vom 28. Juli 1999 - 1 BvR 1006/99
II.
Die Beschwerdeführerin ist Erzieherin und Heilpraktikerin. Sie hat eine Ausbildung in Gesprächspsychotherapie und neurolinguistischem Programmieren abgeschlossen.
Die Beschwerdeführerin erhob Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen das PsychThG. Sie rügte u.a. eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), weil ihr das Führen der eingebürgerten Berufsbezeichnung "Psychotherapeutin" verwehrt werde; sie müsse ihren Beruf unter Phantasienamen ausüben.
Die 2. Kammer des Ersten Senats hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das die Beschwerdeführerin betreffende Verbot, die Bezeichnung "Psychotherapeutin" zu führen, stellt einen Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung dar. Dieser Eingriff ist jedoch verhältnismäßig und zumutbar.
Die Bezeichnung "Psychotherapeut" soll den Inhalt der Berufstätigkeit und dessen heilberuflichen Charakter zum Ausdruck bringen. Die Hinzufügung "Psychologisch" soll auf die Vorbildung des Berufsangehörigen hinweisen und diese im Interesse der notwendigen Information der Patienten von psychotherapeutisch tätigen Ärzten unterscheiden. Derartige Gründe des Patientenschutzes waren auch für das ausdrückliche Verbot der Führung der Berufsbezeichnung maßgeblich. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber eine bisher nicht geschützte Berufsbezeichnung verwendet, um Angehörige eines Berufes, die eine bestimmte Ausbildung aufweisen, klar zu kennzeichnen.
Für Therapeuten, die weiterhin nur auf der Grundlage des Heilpraktikergesetzes tätig sind, bleibt die Möglichkeit, auf ihre jeweiligen Spezialkenntnisse hinzuweisen.
Beschluß vom 28. Juli 1999 - 1 BvR 1056/99
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