Pressespiegel
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Im Dschungel der Zeugnisse
Über 300 Coaching-Ausbildungen gibt es in Deutschland, einige kosten mehrere tausend Euro. Die wenigsten sind wissenschaftlich fundiert
Von Bärbel Schwertfeger
Visuelle Fragen, innere Kraftquellen, SystemDialog und "The Work" nach Katie Byron - die Inhalte der Coaching-Ausbildung sind bunt gemischt und teils fragwürdig. Denn "The Work" lockt mit dem Heilsversprechen, dass sich alle Probleme - inklusive Krebserkrankung und sexueller Missbrauch - in Luft auflösen, wenn wir nur unsere Gedanken umprogrammieren. Mit Wissenschaft hat das zwar nichts zu tun, dennoch bekommen Teilnehmer das Hochschulzertifikat "Systemischer Coach" einer Berliner Privathochschule.
Über 300 Coaching-Ausbildungen gibt es in Deutschland. Das reicht von der Vermittlung esoterischer Methoden bis zum Training fundierter Beratungsmethoden. Manche Ausbildungen dauern nur ein, zwei Wochenenden und kosten 200 Euro, andere umfassen ein zweijähriges Hochschulstudium für mehr als 20.000 Euro.
Seitdem Coaching Karriere macht, wächst auch die Zahl der Ausbildungen. Ursprünglich kommt der Begriff aus dem Sport, wo der Coach den Sportler begleitet und mit ihm einen optimalen Trainingsplan entwickelt. Ende der 80er-Jahre wurde das Konzept auf das Berufsleben übertragen. Hier unterstützt der Coach seinen Klienten bei beruflichen Fragestellungen - sei es bei der Übernahme einer neuen Position, Konflikten mit dem Chef oder der Bewältigung einer schwierigen Aufgabe.
"Die Unternehmen betrachten Coaching als eine sinnvolle und effektive Methode, Probleme zu lösen", sagt Wolfgang Looss, der mit seinem 1991 erschienenen Buch "Coaching für Manager" Maßstäbe für die damals neue Form der Beratung setzte. Oftmals können sich heute nicht nur Topmanager, sondern auch Abteilungsleiter oder Nachwuchskräfte auf Kosten ihres Arbeitgebers coachen lassen. Dafür haben viele Unternehmen sogenannte Coach-Pools mit ausgewählten Beratern aufgebaut. Doch im Dschungel der Zeugnisse und Zertifikate sind auch sie oftmals überfordert. "Inzwischen ist das schon ein Vollzeit-Job, sich da durchzuarbeiten", klagt Klaus Bodel, der bei BMW ein umfassendes Auswahlsystem für Coaches aufgebaut hat.
Zwar gibt es mehr als 20 Coaching-Verbände, die Ausbildungen nach unterschiedlichen Kriterien zertifizieren. Doch das dient vor allem dem Gewinn der Qualifikationshoheit und damit letztlich von Marktanteilen. Getreu dem Motto: Die von uns zertifizierten Coaches sind die Besten. Dass die oben erwähnte Coaching-Ausbildung einer Berliner Privatschule gleich von drei Verbänden zertifiziert wurde, spricht dabei Bände.
Längst ist das Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Coaching-Markt aus den Fugen geraten. Das liegt auch daran, dass kaum ein Coach vom Coaching allein leben kann. Das belegt alljährlich die von dem Büro für Coaching und Organisationsberatung (BCO) durchgeführte Coaching-Umfrage. Laut aktueller Studie erwirtschaftete mehr als die Hälfte der 452 befragten Coaches maximal ein Viertel ihres Jahreseinkommens damit. Die meisten sind zudem als Berater und Trainer tätig. Kein Wunder, dass immer mehr selbst eine Coaching-Ausbildung anbieten. Schließlich ist es wesentlich lukrativer, von 20 Teilnehmern 4000 Euro Kursgebühren zu kassieren als mühsam Coaching-Klienten zu akquirieren.
Dabei haben etliche Anbieter nicht mal selbst eine fundierte Coaching-Ausbildung. Auch inhaltlich geht es bunt durcheinander. Der eine setzt auf systemische Beratung, der andere auf das Wahrnehmungs- und Kommunikationsmodell des Neurolinguistischen Programmierens (NLP) oder auf die sogenannte Aufstellungsarbeit, bei der emotionale Beziehungen des Klienten mit ihrem Umfeld - zum Beispiel mit Spielfiguren - nachgestellt werden, um so angeblich unbewusste Aspekte zu erkennen. Andere erfinden einfach ihre eigenen Methoden, nicht selten bar jeglicher fundierter Fachkenntnis.
Dass nur die wenigsten Coaching-Ausbildungen ansatzweise wissenschaftlich fundiert sind, hat Siegfried Greif, Professor für Psychologie an der Universität Osnabrück, bei seinem Vergleich von 50 Coaching-Ausbildungen in Deutschland, Großbritannien und den USA herausgefunden. Dabei hat der Psychologe die Präsentationen der Anbieter im Internet analysiert und nach wissenschaftlichen Begriffen, Theorien oder Methoden gesucht. Sein Fazit ist ernüchternd: "Wissenschaftlich fundiert" sind in Deutschland gerade mal vier Prozent der Ausbildungen. Sie weisen ausdrücklich darauf hin, dass sich ihr Ausbildungskonzept auf wissenschaftliche Theorien und Methoden stützt oder Wirksamkeitsstudien berücksichtigt werden.
Harte Kritik übt Greif dabei am NLP. Darunter versteht man eine Sammlung von Kommunikationstechniken, die verspricht, die psychischen Muster eines Menschen, die durch die Interaktion zwischen dem Gehirn (Neuro) und der Sprache (linguistisch) entstanden sind, so zu verändern (Programmieren), dass sich die Person effektiver verhält. "Die Forschung hat nun mal längst bewiesen, dass das nicht funktioniert", betonte Professor Greif. Dennoch gehört NLP laut seiner Studie mit 36 Prozent zu den häufigsten Grundlagen deutscher Coaching-Ausbildungen.
Noch beliebter ist nur der systemische Ansatz mit 55 Prozent, bei dem es um die Analyse und Stärkung des jeweiligen Systems - wie dem Unternehmen oder dem Team - geht. Dahinter verbirgt sich meist ein Mix aus Systemtheorie, Konstruktivismus, Kybernetik, Familientherapie und immer häufiger auch esoterischen oder spirituellen Ansätzen.
"Coaching braucht mehr wissenschaftliche Fundierung", forderte Professor Greif daher vor Kurzem bei seinem Vortrag auf dem Coaching-Kongress der Hochschule für angewandtes Management in Erding. Auch wenn sich praktische Erfahrung nicht vollständig durch wissenschaftlich validiertes Wissen ersetzen ließe, sei eine stärkere Zusammenarbeit von Praxis und Wissenschaft notwendig.
Wie kann man also herausfinden, was eine Ausbildung taugt? Wer als Coach auf Aufträge von Unternehmen hofft, sollte vor allem auf die Akzeptanz und Reputation des Anbieters achten - und die hängt wiederum von dessen Qualifikation und den vermittelten Methoden ab. "Letztlich geht es um eine beratende Tätigkeit", erklärt Coaching-Experte Wolfgang Looss. Daher sollte es zunächst immer darum gehen, die methodischen und didaktischen Grundlagen der Beratungsarbeit zu erlernen. Weiterbildungen in bestimmten Methoden oder Techniken könne man später draufsetzen. "Ich würde die Methode nie zum Auswahlkriterium für eine Ausbildung machen", warnt Looss.
Bisher herrscht nicht einmal bei der notwendigen Dauer der Ausbildung Einigkeit. Versuche der Verbände, sich auf eine Mindestdauer von 150 Stunden zu einigen, sind bis heute gescheitert. Im vergangenen Jahr stellte die Stiftung Warentest Standards vor. Danach sollte die Ausbildung mindestens zwölf Monate dauern und der Präsenzunterricht mindestens 250 Stunden umfassen. Inhaltlich sollten unter anderem Rollenkonzepte, psychologische Themen und auch die persönliche Kompetenz ein Thema sein. Zudem müssen die angehenden Coachs Formen von Unternehmen und Organisationen kennen und in Rollenspielen auf die Coaching-Situationen vorbereitet werden. Laut Stiftung Warentest dürfte bisher wohl kaum eine Ausbildung in Deutschland die Standards erfüllen. "Coaching kann man nicht in kurzer Zeit wie ein Handwerk lernen", warnt Experte Looss. "Das Profil eines guten Coaches entwickelt sich immer erst durch langjährige Erfahrung."
Quelle: Die Welt, 15. März 2014.