Pressespiegel
--
Er gilt als Alpen-Machiavelli, dennoch wurde er jetzt als Fifa-Präsident wiedergewählt. Joseph Blatter über Macht und Moral, seine Feinde und sein Leben.
Unsere Fifa ist neutraler als die Schweiz
Von Roger Köppel
Herr Blatter, die Fifa ist nach der katholischen Kirche und der Uno das vermutlich internationalste Gebilde der Welt. Wie halten Sie das zusammen?
Joseph Blatter: Der kleinste entscheidende Nenner ist der Ball. Das ist die Faszination. Der Ball hält alles zusammen. Wer den Ball hat, ist der Chef.
WELT: Ernsthaft?
Blatter: Ich meine es ernst. Der Ball ist das Objekt der Begierde, eine Art Erdball. Tief verwurzelt im Menschen ist der Drang zu kicken. Daraus entwickelte sich das Bedürfnis, den Ball auf ein bestimmtes Ziel zu schießen. Bringen Sie Kinder zusammen, es entstehen automatisch Mannschaften. Menschen formen sich zu Gruppen, Gruppen zu Verbänden. Ich gehe so weit zu sagen: Im Spiel mit dem Ball werden selbst religiöse Unterschiede und Spannungen überwunden. Der Ball ist ursprünglicher. Wir haben es mit tiefen menschlichen Regungen zu tun.
WELT: Können Sie sich erklären, warum ein Oberwalliser Präsident des mächtigsten, reichsten und umstrittensten Sportverbands der Welt wurde?
Blatter: Ich war privilegiert, weil ich irgendwann wusste, was ich wollte. Man muss im Leben etwas suchen. Man findet es, wenn man es mit genügend Nachdruck sucht. Ich war immer mehr als ein Fan. Mich packte der Fußball seit frühester Kindheit. Als Spieler brachte ich es in die 1. Liga beim FC Sierre. Mein Vater sagte mir, ich solle etwas Rechtes lernen, mit Fußball würde ich es nie schaffen, Geld zu verdienen. Ich studierte, wurde zum ersten Pressechef im Schweizer Sport, arbeitete bei der Uhrenfirma Longines. Im November 1974 meldete sich die Fifa bei mir. Ab Februar 1975 war ich voll dabei. Ich zögerte keinen Moment.
WELT: Was trafen Sie an?
Blatter: Die Fifa war sehr klein. Man organisierte die WM. Wir hatten einen Wanderprediger, der hieß Dettmar Cramer. Insgesamt waren es elf Personen.
WELT: Man sagt Ihnen nach, Sie hätten sich mit mitleidlosen Methoden nach oben gekämpft.
Blatter: Unsinn. Ich wuchs mit dem Betrieb, und der Betrieb wuchs mit mir. Anfangs kümmerte ich mich um die Entwicklungsprogramme, reiste herum, predigte, arbeitete mit den Trainern zusammen. Ich ging nach Südamerika, in die Karibik, nach Afrika, Zentralamerika. In dieser Funktion blühte ich auf, weil man unterschiedliche Fähigkeiten haben musste.
WELT: Was brachten Sie der Fifa, was vorher nicht schon vorhanden war?
Blatter: Es war die Liebe zum Spiel, die Begeisterung. Die Organisation befand sich tatsächlich in einem eher unterentwickelten Zustand. Mir wurde bald bewusst, dass mein jugendlicher Elan gut ankam.
WELT: War es ein Vorteil, Schweizer zu sein?
Blatter: Ja. Die Unbekümmertheit des Oberwallisers half. Außerdem hatte ich das Glück, dass sich unser Präsident, João Havelange, nicht allzu sehr um die Belange des Fußballs kümmerte. Kein Missverständnis: Er war ein großer Präsident. Aber die Liebe fehlte. Als mich damals ein Exekutivmitglied aufsuchte mit der Bemerkung, es habe ein Problem, schickte ich es zu Havelange. Er wollte nicht. Ich fragte: Warum? Er antwortete: "He freezes me."
WELT: Sie haben der Fifa Energie und menschliche Wärme eingeimpft.
Blatter: Ja, ich brachte menschliche Wärme in den Betrieb. Das wurde weltweit anerkannt. Ich galt schnell als interessanter und begabter junger Mann aus der Schweiz. Die Begeisterung habe ich mir erhalten. Sie hält mich am Leben. Und die Fifa ist eine große Macht geworden.
WELT: Dieses Selbstbild werden Ihnen nur die wenigsten abnehmen. Sie gelten als Alpen-Machiavelli.
Blatter: Natürlich gab es auch heikle Situationen. Mein Privatleben war immer zweitrangig, worunter meine Partnerinnen litten, aber man musste nun mal eine Wahl treffen. Meine Begeisterung trieb mich nach vorne, aber da waren erhebliche Risiken. Die alte Sportführergarde wurde misstrauisch. Damals war die Ehrenamtlichkeit das aristokratische Ideal. Man trug Ehrenabzeichen und hielt ehrenhafte Positionen. Wer in diesen Kreisen seinen Geschäftssinn allzu deutlich zeigte, wurde gebremst.
WELT: Wann versuchte man erstmals, Sie abzusägen?
Blatter: Immer wieder. Es kam darauf an, wie standfest man war. Schauen wir uns die letzten acht Jahre an seit meiner Wahl. Was da alles probiert wurde, um die Organisation zu destabilisieren und mich wegzubringen! Meine Position wurde plötzlich interessant. Meine Gegner aber haben nicht gemerkt, dass man nicht von selber so weit nach oben kommt, sondern nur, wenn man viel weiß und den Job von der Pike auf gelernt hat. Die heutige Fifa ist mein Lebenswerk. Das war mein Vorteil. Ich habe wesentliche Weichen gestellt. Im Moment lebt der Fußball wirtschaftlich sehr gut. Aber wir sind in einer gefährlichen Situation. Die reichen Fifa-Länder driften nach oben weg. Der Appetit jener, die das Spiel übernehmen wollen, ist groß. Da bin ich der Bremser. Ich bleibe bei meiner Philosophie. Dieses Spiel ist ein Spiel für alle.
WELT: Wer die Berichterstattung über die Fifa verfolgt, kommt zum Schluss, das sei eine Verbrecherorganisation. Da würden Funktionäre bestochen, und am korruptesten sei der Chef, also Sie.
Blatter: Solange ich Generalsekretär blieb, war ich eine angesehene Person. Das änderte sich Knall auf Fall am 8. Juni 1998, als ich gewählt wurde. Ich war der Gegenspieler des etablierten Kandidaten. Am Vortag der Wahl fand ein Gespräch statt. Die Kandidaten mutmaßten über ihre Stimmenzahlen. Mein Gegner sagte, er werde mindestens 115, wahrscheinlich 130 schaffen. Ich sagte 112. Am Schluss wurde ich mit 111 Stimmen gewählt. Dann begann unter Führung des deutschen Verbandsfürsten Egidius Braun eine Polemik, Blatter habe Stimmen gekauft. Das brachte ich nicht mehr weg, obschon nichts davon stimmte. Am besagten Abend, als die Bestechung erfolgt sein soll, war ich gar nicht im Fifa-Hotel, sondern mit meiner Tochter beim Abendessen auswärts. Trotzdem wird noch immer behauptet, ich hätte mir die Wahl gekauft.
WELT: Leiden Sie manchmal darunter, dass die Fifa an geradezu zwinglianischen Maßstäben gemessen wird?
Blatter: Das kann man so sagen. Die Kritik ist engstirnig. Im Fußball zünden Emotionen, Leidenschaften. Solange die Fifa, solange der Fußball keine große Wirkung hatte, blieb es ruhig. Aber ausgerechnet seit der unerwünschte Obergommer Sepp Blatter Präsident ist ...
WELT: Warum unerwünscht?
Blatter: Ich war doch damals unerwünscht. Andere wollten die Fifa übernehmen. Aber ausgerechnet seit meiner Wahl läuft es bei der Fifa sehr gut, gerade finanziell. Natürlich habe ich mir Feinde gemacht. Anders als mein Vorgänger bin ich kein Präsident, der einfach zuschaut und nicht viel sagt und sich wenig engagiert. Ich mische mich ein, ich bin kommunikativ, vielleicht zu kommunikativ. Meine Ideen tun weh. Als ich 1999 laut darüber nachdachte, ob man die WM alle zwei Jahre durchführen sollte, stieg die Uefa wegen ihrer Champions League sofort auf die Barrikaden.
WELT: Mächtige Gruppen wollten, wollen Sie weghaben. Worin besteht die Kunst des Obenbleibens?
Blatter: Ich versuche, mit meinen Gegnern im Gespräch zu bleiben, mit ihnen zu reden, eine Kommunikation aufrechtzuerhalten. Das konnte ich bisher mit allen. Ich rede mit ihnen, ich lade sie ein. Mit der Spielergewerkschaft haben wir uns geeinigt. Es gibt Leute, die hetzen gegen mich. Das ist mehr als Eifersucht und Neid. Bei einigen ist das Hass. Aber es hält mich nicht auf, obwohl Hass stärker ist als Liebe. Hass ist kalt, ist Wasser, und Wasser tötet Feuer. Wo Hass züngelt, muss man den Glauben an sich selbst bewahren. Ich bin ein gläubiger Mensch. Ich glaube, dass es gut kommt.
WELT: Mussten Sie jemals gegen Ihr eigenes moralisches Koordinatensystem verstoßen?
Blatter: Nein. Ich habe das nie gemacht. Ich würde es auch nie machen. Die Investigationsjournalisten können noch jahrelang ackern. Sie werden nichts finden. Wenn ich gegen meine Moral gehandelt hätte, hätte ich ein schlechtes Gewissen, und mit einem schlechten Gewissen könnte ich nicht schlafen. Ich schlafe hervorragend.
WELT: Nochmals: Wie schafft man es, so lange in der Fifa zu überleben?
Blatter: Der Präsident muss zum richtigen Zeitpunkt entscheiden, ein Machtwort sprechen. Man muss nicht immer die Meinungen aller Gremien einholen und konsultieren. Ab und zu muss der Präsident ein Machtwort sprechen. Sonst bröckelt die Autorität.
WELT: Wie lautet Ihr Führungsprinzip?
Blatter: Entweder löst die Zeit das Problem, oder ich muss mir die Zeit nehmen, um das Problem zu lösen.
WELT: Entscheiden Sie einsam, gehen Sie in den Wald, oder setzen Sie auf Vertrauensleute?
Blatter: Ich bin keine einsame Figur. Ich gehe nicht in den Wald, höchstens um abzuschalten. Ich rede mit Mitarbeitern, denen ich hundert Prozent vertraue.
WELT: Gibt es die?
Blatter: Einige gibt es noch. Ich erwarte klare Meinungen. So lese ich die Situation. Zwei Mitgliedern des Exekutivkomitees vertraue ich. Auf Michel Platini kann ich zählen. Die meisten haben eine eigene Agenda.
WELT: Fehlt Ihnen keine Frau? Mächtige Männer stehen oft unter dem Einfluss von Frauen, den einzigen Menschen, denen sie blind vertrauen können.
Blatter: Kann man blind vertrauen? Ich habe im privaten Bereich wieder eine Frau, mit der ich schon vor einigen Jahren zusammen war. Das ist eine gute Sache.
WELT: Sie besprechen sich? Ist sie Ihr Coach?
Blatter: Ja. Sie macht NLP, neurolinguistische Programmierung. Sie hilft mental.
WELT: Wie sehr leiden Sie darunter, dass Ihre Leistung, Ihre Karriere, immer nur unter dem Vorbehalt möglicher unsauberer Machenschaften gewürdigt wird?
Blatter: Ich habe gelitten. Jetzt leide ich nicht mehr. Die Zeitungssprache kennt das Wort Lob nicht. Es ist unverständlich. Man bezieht sich auf Gerüchte, die andere gesagt haben. Irgendwann wird die Wahrheit herauskommen.
WELT: Deshalb legen Sie bald eine Autobiografie vor? Was ist die Botschaft?
Blatter: Die Botschaft ist die Geschichte des Fußballers Sepp Blatter in der Fifa. Es kam mir vor wie in einem Trainingsparcours. Nach jedem Hindernis kommt eine neue Klippe.
WELT: Welche andere Großorganisation erinnert Sie an die Fifa?
Blatter: Die Kirche. Wir glauben. Wir haben nur ein Produkt.
WELT: Und Sie sind der Papst. Die höchste, unfehlbare Instanz.
Blatter: Ich sage nicht: wie die katholische Kirche. Die Fifa pflegt, wie die Kirche, ein kulturelles Gut. Ball und Spiel. Es ist keine aristokratische Sache. Wir sind aber auch keine Demokratie. Wir suchen nicht den totalen Konsens. Alles basiert auf der Ideologie des Balls.
WELT: Was ist das?
Blatter: Beim Weltwirtschaftsforum fand im Januar 2006 ein Symposium statt mit dem Titel: "Kann ein Ball die Welt verändern?" Das glaube ich unbedingt.
WELT: Vielleicht müsste die Fifa der Uno beitreten.
Blatter: Umgekehrt! Im Ernst: Der Unterschied zwischen Uno und Fifa besteht darin, dass die Uno Resolutionen abfasst, während wir konkrete Projekte starten. Wir bauen etwas, wir bewegen etwas. Das geht direkt.
WELT: Sie sagen: Die Fifa bewegt mehr als die Uno.
Blatter: Ja, davon bin ich überzeugt. Wir bewegen mehr, wir haben mehr bewegt, und wir können noch mehr bewegen. Der neue Uno-Generalsekretär möchte enger mit der Fifa zusammenarbeiten.
WELT: Kann die Fifa den Nahostkonflikt beenden?
Blatter: Nein. Wir wollen nicht für den Frieden arbeiten, denn für den Frieden wird zu viel getötet. Wir wollen die Welt mit dem Fußball berühren, Hoffnung verbreiten und mit und dank der Hilfe des Fußballs an einer besseren Zukunft mitarbeiten. Fußball verändert die Welt.
WELT: Sie sind als Schweizer Oberfußballer die perfekte Verkörperung des Neutralitätsprinzips.
Blatter: Sie meinen das als Witz, aber es ist so. Unsere Fifa ist noch neutraler als die Schweiz oder als das Rote Kreuz. Die Uno wird oft als Filiale der USA gesehen. Der Fußball hat eine einmalige Situation. Wir können das. Das Spiel.
WELT: Spürten Sie schon als Kind ein Sendungsbewusstsein?
Blatter: Es gab das Empfinden, man müsse etwas machen. Das Militär hat mich begeistert. Ich wollte weitermachen, wurde Offizier, spielte mit der Idee, Heerführer zu werden. Genauso gerne wäre ich Pianospieler geworden. Ich bin ein rhythmischer Mann, ich tanze gern.
WELT: Sie haben alles dem Fußball untergeordnet. Bedauern Sie das manchmal?
Blatter: Emotional war es das Beste, was ich machen konnte, aber ich hätte mein Leben sicher besser organisieren können.
WELT: Was ist das Wichtigste im Leben eines Mannes?
Blatter: Jeder Mann hat eine Aufgabe zu erfüllen, anhand seiner Ethik und Moral. Er muss die Aufgabe, die er sich selber stellt oder die ihm das Leben stellt, richtig erfüllen, und er muss wissen, dass die Aufgabe richtig ist.
WELT: Was lesen Sie?
Blatter: Ich bin keine Leseratte. Kurzbiografien, mehr nicht, manchmal Krimis, Kreuzworträtsel, Sudoku.
WELT: Von allen kritischen Sätzen, die je über Sie geschrieben wurden: Welcher ist wahr?
Blatter: Wer mir vorwirft, ich würde manchmal gewisse Entscheidungen nicht nach Konsultation aller Gremien treffen, hat wohl recht. Machtgehabe. Das ist vielleicht nicht völlig falsch. Aber das ist ja gerade der Clou. Meine Aufgabe erzwingt das.
WELT: Ich meinte: Gab es einen Satz, der wirklich traf?
Blatter: Hm. Was musste ich kürzlich korrigieren? Was lief falsch? Es gibt sicher Misserfolge, aber die große Entwicklung seit 1998 ist positiv. Man wirft mir Überheblichkeit vor, meine angebliche Überheblichkeit. Ich kann damit nichts anfangen.
WELT: Was ist das größte Missverständnis über Sepp Blatter?
Blatter: Ich sei korrupt. Das trifft mich. Weil es nicht stimmt.
WELT: Wie möchten Sie erinnert werden?
Blatter: Man soll mein Lebenswerk anerkennen. Blatter hat die gesellschaftliche Verantwortung des Fußballs gesehen. Er hat gemerkt, dass Fußball mehr ist als nur Ballkicken. Fußball ist völkerverbindend, ist Beziehung, er ist Hoffnung, Entspannung, Entertainment. Passion.
Quelle: Die Welt, 4. Juni 2007.