Pressespiegel
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Selbsthypnose gegen triefende Nasen und tränende Augen
"Psychische Impfung": Neue Hoffnung für Allergiker - Psychologe: "Die meisten Patienten können sich Beschwerden einfach wegdenken"
Hildesheim - Toller Sonnenschein und ein mäßiger in Böen auch starker Wind, der die Pollen gut verteilt und in jede empfängliche Nase trägt, sorgen in diesen eigentlich schönen Sommertagen dafür, daß Heuschnupfen-Allergiker mit tropfenden Nasen und rotgeriebenen Augen herumlaufen. Der dunkle und abgeschottete Raum bleibt da oft der letzte Fluchtpunkt - bislang jedenfalls. Denn jetzt hat der Hildesheimer Psychologe Klaus Witt eine Lösung abseits von Tabletten und Nasensprays gefunden: Die "psychologische Impfung".
Allergiker können demnach mentale Schutzmaßnahmen gegen Heuschnupfen erlernen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Psychologen von der Fachhoschule Hildesheim/Holzminden. "Vereinfacht gesagt, können die meisten Patienten allergische Reaktionen einfach wegdenken", sagte Witt in einem dpa-Gespräch. Bei seinen Untersuchungen an 73 Allergie-Patienten der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf (UKE) im Sommer 1998 hatte sich die "Psychische Impfung" als besonders wirksam gegen Heuschnupfen erwiesen. Witts Studie wurde auf dem Weltkongreß der Psychotherapeuten in Wien Anfang Juli vorgestellt.
Bisher beschränkte sich die Heuschnupfen-Therapie fast ausschließlich auf Medikamente. Die neue Methode beruht dagegen auf dem "Hildesheimer Gesundheitstraining", das von einer Forschergruppe des Hildesheimer Psychologie-Professors Gerhart Unterberger entwickelt wurde. Er nimmt an, daß Allergiker durch fehlerhafte Lernprozesse des Immunsystems begünstigt werden, und die könne man verändern.
"Die meisten Patienten wissen zwar in allen Einzelheiten, woran sie leiden. Aber an den Weg zu Gesundung denken sie nicht", erklärte Witt. "Dabei ist längst bewiesen, daß psychische Faktoren Krankheitsbilder beeinflussen." Mit Selbsthypnose müsse sich der Betroffene also zunächst die eigene Wahrnehmungsstrategie bewußt machen. Anschließend könne das Immunsystem darauf trainiert werden, beispielsweise auf Birkenpollen gar nicht zu reagieren.
"Der Patient kann sich eine gläserne Wand vorstellen, die ihn vor den Pollen schützt. Das klingt zwar etwas platt, kann aber schon helfen", meint der Psychologe. Bei rund 80 Prozent der während des Pollenfluges der Birke von März bis Juli in Hamburg behandelten Patienten hatte sich die allergische Reaktion abgeschwächt oder war ganz verschwunden.
Die Zahl der Pollenallergiker hat in den vergangenen Jahren dramatisch zugenommen. Rund 14 Prozent aller Deutschen, so Professorin Ingrid Moll vom UKE, leiden unter der Krankheit. Vor zehn Jahren waren es nur rund vier Prozent. "Die Tendenz ist weiterhin klar steigend", so die Professorin. Womit die Zunahme zusammenhängt, konnte noch nicht abschließend geklärt werden. Allein auf die stärkere Belastung durch Umweltschadstoffe könne der Aufwärtstrend nicht zurückgeführt werden.
Professorin Moll: "Es wurden Kinder aus der belasteten Region um Bitterfeld mit Kindern aus kaum belasteten Villenvierteln im Münsterland verglichen, die Resultate haben sich nicht wesentlich voneinander unterschieden."
Und wenn die gläserne Wand aus der eigenen Vorstellung nicht hilft, dann aber oft ganz reales Glas: "Nachts die Fenster schließen", rät die Professorin. dpa/lau
Quelle: DIE WELT, 12. Juli 1999, S. 44.