Pressespiegel
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Nicht verzagen
Die Frankfurter Buchmesse versucht sich als omnipotenter Ratgeber
Frankfurt/M. - Schon Kilometer vor dem Messegelände taucht ihr Gesicht auf wie das einer modernen Ikone: Lady Diana grüßt von Spruchbändern, Plakaten, flimmernden Leinwänden. Die Frau, die noch vor wenigen Monaten eher durch Skandale erregte, ist auf dem besten Wege, eine Heilige zu werden - und das Buch ist der Sockel. Die Diana-Titel der Frankfurter Buchmesse beweisen: Die flüchtigen Medien suchen sich eine Dauer. Moderne, computergestützte Drucktechniken und flotte Journalistenfinger machen es mögich. Ein Ereignis, gerade erst auf Bildschirmen und Zeitungsseiten erloschen, findet sich zwischen zwei Buchdeckeln wieder, egal ob Schumachers Formel-I-Erfolge, die jüngste Krise im Nahen Osten oder das unglückliche Sterben der britischen Lady. Daß auch diese Ewigkeit flüchtig ist, stört keinen. Die Bücher an den überquellenden Ständen suchen den Anschluß ans tägliche Leben. Mit ganz und gar unliterarischen Produkten fangen die Verlage ihre Kunden. Ein flotter Sportwagen wird verlost, in knalligem Rot, versteht sich. Oder ein Mountainbike für den, der es gern körperertüchtigend meint. Ein echter Kräutergarten grünt zwischen all dem Papier. Daneben lassen Computer allüberall gewaltige Besuchertrauben um sich wachsen. Schon mal mit dem U-Boot untergegangen? Ein Buchmessentrip macht es möglich! Kein Bereich, der sich nicht in einem Cover anbieten würde, kein Bereich, der des Buches nicht wert wäre. Im Mittelpunkt: der tägliche Kampf mit sich selbst und der Umwelt. Versagt der Vergaser, greift man zum Buch. Leidet man unter Heuschnupfen, geht man besser nicht erst zum Arzt, sondern gleich zum Buchhändler um die Ecke. Schmerzt die Seele, steht die Rettung im Regal schon parat. Wer ein Menschenbild des Jahrhunderts zeichnen wollte, brauchte nur auf die Messe zu gehen. Er fände, daß die einen Angst verbreiten, und die anderen mit ungeheuerem Aufwand versuchen, sie wieder zu heilen. Der Mensch, an den sich das Buch wendet, ist zerrissen zwischen Angst und Erlösung, zwischen Katastrophen und Genüssen, zwischen dem Versuch, das Diesseits zum Paradiese zu machen und das Jenseits in den irrwitzigsten Weisen zurückzugewinnen. Es gibt nichts, wovor es sich nicht lohnte Angst zu haben. Ein beliebiger Griff ins Regal, eine fast beliebige Textstelle: "Hauptsache, Sie haben Angst, richtige Angst. Wir machen das schon lange, haben nie richtig geplant." Karl Feldkamps Roman "Angstaugen" erhebt den Schrecken zum Inbegriff eines Lebens. Die Gewalt wird sozusagen zum Lebensstil; Befriedigung gibt es erst dann, wenn die Angst in den Augen der Opfer erscheint. Es ist schon fast eine ganze Literatur, die sich den Ängsten und Drohungen widmet. Ein Verlagsprospekt fragt: "Sind wir noch zu retten?" Dann kommen die Titel "Glaub doch, was Du willst" oder "Nieder mit Gott". Ein anderer Romantitel verkündet "Selbstverständlich Selbstmord". Und für einen bekannten Autor wie Günther Nenning kann es nur heißen: "Gott ist verrückt". Er bringt das Problem auf diesen Punkt: "Ein Gespenst geht um in Europa. Das GespenstNachdenken und reich werdenTitel auf der Frankfurter Buchmesse der Religion. Die illiberal gewordenen Liberalen aller Länder jagen es. Ein neues Zeitalter der Reli- gionsfeindschaft bricht an, weil ein neues Zeitalter der Religionsfreundschaft anbricht. Gott ist nicht tot, Gott ist verrückt." Immer wieder ist es Jesus, der stets auf neue Weise als Vermittler des Heils beschworen wird. Da werden Evangelien nacherzählt, da wird Jesus nach den Apokryphen neu gedeutet, da wird er als Mensch, als leidendes, irdisches Wesen beschworen. Man bietet ihn an wie eine Ware. "Vom Geheimtip auf dem Weg zum Bestseller", preist ein Verlag ohne Gewissensbisse sein Jesus-Buch an. Auf dem Wege zu einer "neuen Spiritualität" wendet man sich an die Geschichte. Ein Buch über die Kartäuser und ihr Leben in Einsamkeit, Stillschweigen, Nachtwachen und Fasten soll als Wegweiser dienen. Und weil das Streben nach Religiosität auch von unseriösen Unternehmen betrieben wird, gibt es gleich einen passenden Ratgeber: "Betroffen durch Sekten". Esoterik hat Konjunktur, mit gewaltigem Zuwachs. Energetische Astrologie und Traumarbeit kann man aus dem Büchlein "Die Rätsel des Lebens" erlernen. Und wenn einem nichts mehr hilft bei der Erkenntnis des eigenen Ich und des Mitmenschen, gibt es die "Praxis der Handanalyse". Der ratlose, der verzweifelte Mensch braucht sich nicht mehr zu fürchten. "Optimismus kann man lernen - Schluß mit negativen Gedanken", läßt ein Poster an einem Verlagsstand die Messebesucher hoffen. Die passenden Werke: "Kraftquelle Mentaltraining" oder "Das Praxisbuch der Mentaltechniken". Ein wenig trainieren, und schon ist die Welt wieder heil: "Optimisten brauchen keinen Regenschirm". Solche Programme gibt es für Manager, Lehrer, Wissenschaftler und ganz normale Menschen. Was seit NLP, dem amerikanischen Psychoprogramm "Neurolinguistische Programmierung" jeder Fußballtrainer weiß, füllt nun die Bücherregale: "Denke positiv, an Deinem Unglück bist du selber schuld." Damit das alles die nötige physische Unterstützung erfährt, beherrscht den Menschen zunehmend der Ruf "Zurück zu den Quellen". Da hilft nicht nur der bekannte Ewigkeitsforscher Erich von Däniken, der seine Leser über die Herkunft der geometrischen Zeichen und Figuren in der Nazca-Wüste aufklärt. Da gibt es auch jene Flut von Büchern, die den Körper zur Natur zurückführen möchten. "Doktor Biene" - das verspricht süße Medizin statt bitterer Pillen. Und die Pflanze Aloe vera, bisher eher als Schönheitsmittel bekannt, soll nun auch gegen Akne, Schnupfen, Sonnenbrand und Cellulitis helfen, ja selbst bei Menstruationsbeschwerden entfaltet sie ihre Kraft. Das Menschenbild der Buchmesse nähert sich einer Unübersichtlichkeit. Immer wieder sind es die Versprechen auf ein Ende der Ratlosigkeit, die eine gewaltige Käuferschicht finden, selbst wenn ein Buch so Unsinniges ansagt wie "Nachdenken und reich werden". So sehr wie in unserem Jahrhundert hat sich noch nie eine Epoche mit sich selber beschäftigt. Der Titel "Unterwegs zu mir" könnte fast als die Parole des aktuellen Zeitgeists gelten. Und weit mehr noch versprechen Bücher: "Hilf mir ins Paradies hinein". Ob Wahrheit oder sinnlose Sehnsucht - Geschäft ist Geschäft. Immerhin wird es den Bonner Finanzminister freuen, wenn Hans Conrad Zander ihm in seinem Schwarzbuch auf Heller und Pfennig nachrechnet, was die Abschaffung des Zölibats den deutschen Steuerzahler kosten würde. Manchmal sind Bücher halt doch zu etwas nütze.
Quelle: Die Welt, 17. Oktober 1997.