Pressespiegel
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Angst vor der Angst
Im Management grassiert der Psycho-Boom - doch die zugrunde liegenden Konflikte werden meist nicht bearbeitet
Von Kai Hoffmann
Es ist die pure Angst, die Jonny Held schlagartig überfällt, als er am Morgen vor seinem Porsche steht. Aber der Topmanager einer internationalen Werbe-Agentur ist geübt im Wegdrücken unliebsamer Gefühle. Er atmet kurz durch, schließt die Autotür auf und fährt ins Büro. Nur wird der alltägliche Arbeitsweg diesmal zur Qual. Immer wieder schütteln ihn Panikanfälle.
Der Vorfall ist nicht ungewöhnlich in den Höhen der Führungskräfte, die personell dort am meisten gefährdet sind, wo die Arbeitswelt von Erfolgsdruck, Karrierestreben und Terminen geprägt ist. Viele Manager verlieren im Laufe weniger Jahre in diesem Stressfeld den Bezug zu sich selbst - und damit zu ihren Familien, Freunden und Kollegen.
Die Auslöser für solche Angstausbrüche oder auch Gefühle der Leere und Einsamkeit sind unterschiedlich. Doch zwei Ursachen bleiben den Ereignissen meist gemeinsam: das Verdrängen traumatischer Erfahrungen in der Vergangenheit sowie das Ignorieren individuellster Wünsche oder Veranlagungen zugunsten der Karriere. Diese Probleme werden zunächst jedoch nur als unliebsame Hindernisse beim Aufstieg wahrgenommen. Denn der Erfolg von Führungskräften beruht insbesondere auf ihrem Erscheinungsbild, das eine blendende Ausstrahlung haben soll.
Um diese Stolpersteine von der Karriereleiter wegzuräumen, ist es inzwischen auch in Deutschland Mode geworden, die störenden Symptome im Verhalten wegzutherapieren. Unternehmensberatungen bieten Seminare an, beispielsweise zur Beeinflussung der Selbst- und Fremdwahrnehmung oder Workshops zum Training effizienter Regeln für den besseren Verhaltensstil in den Arbeitsprozessen eines Untemehmens. "Werde der, der Du sein kannst", lautet manches Motto von Wochenendseminaren. Verhaltens- und Denkweisen, Reaktionsmuster oder die Arten des Sprechens werden dort analysiert: Hier verhältst Du Dich kindisch, in dieser Situation denkst Du umständlich, unter Stress reagierst Du kopflos, zu Deinem Chef sprichst Du wie ein Kind.
Diese für den Alltagsgebrauch durchaus hilfreichen Betrachtungen betreffen jedoch immer nur die Handlung selbst. Der psychische Grund des alten - als falsch empfundenen - Verhaltens bleibt unberührt und damit erhalten. Der zuvor mürrische Versicherungsvertreter wird zwar künftig den Kunden am Telefon freundlicher ansprechen, weil er gelernt hat, dass damit sein Erfolg gefördert wird. Doch spätestens beim Kollegen, beim Kellner oder der Ehefrau bricht seine Aggressivität oder Unzufriedenheit, deren unbewusste Ursachen im Seminar nicht zur Sprache kamen, wieder durch.
Ziel: Erfolg bei der Arbeit
Auch Jonny Held konnte nach einem solchen Seminar wieder angstfrei Porsche fahren. Doch seine Angst verschob sich und kehrte schon bald an anderen Stellen zurück: im Aufzug, in Schweißausbrüchen vor dem Chef, in Redehemmungen bei Verhandlungen, in Denkblockaden vor dem PC. Die Folge solcher Verschiebungen sind häufig Besuche immer neuer Trainingsseminare. Deren Themen sind Konfliktbewältigung, Stressabbau, positives Denken, Selbstbehauptung oder Kontrolle von Emotionen.
Das Ziel ist meist klar: Erfolg bei der Arbeit. Und die Firmen zahlen gerne solche Fortbildungen, weil sie sich eine höhere Leistung ihrer Mitarbeiter versprechen. Die jährlichen Investitionen deutscher Unternehmen im Bereich der Motivationsseminare geht bereits in die Milliarden. Und doch - Fälle von Depressionen, von Gefühlen der Selbstentfremdung,
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Der Traum vom Team: Als kleine Jungs haben sie als Mutprobe Regenwürmer in der Gruppe gegessen. Der Manager soll beim gemeinsamen Extremsport erfühlen, was es heißt, mit den Kollegen für die Firma zu kämpfen.
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Antriebsschwäche oder Apathie bis hin zum Selbstmord sind bei Führungskräften immer wieder anzutreffen. Hier zeigt sich etwas, was sich nicht trainieren, kontrollieren oder einfach beseitigen lässt, und sei es mit noch so menschlich scheinenden Begriffen verbrämt wie "Transaktion der Bedürfnisstruktur", das "Kind im Erwachsenen" oder "Wunschentfaltung in der Firma".
Gerade im Management mit seinem Macht- und Konkurrenzstreben ereignet sich eine fatale Selbsttäuschungen durch Prestige, Status und Geld. Der meist selbst gewählte Arbeitsdrill von Managern funktioniert dabei häufig als Trimmpfad der Verdrängung. So nützt der Berufsalltag oftmals auch dazu, wie der Frankfurter Psychoanalytiker Stavros Mentzos erklärt, das eigene "Schutz- beziehungsweise Abwehrverhalten gegen irreale, phantasierte, infantile, insgesamt nicht
real begründete Ängste, Depressionen, Scham- und Schuldgefühle zu sichern".
Das wird oft teuer bezahlt, zuerst mit Selbstverleugnung, falschen Kompromissen, dem Verlust der Selbstachtung und der Ausgliederung der privaten Sphäre, schließlich mit körperlichen und psychischen Leiden. Dabei sei immer wieder festzustellen, berichtet der Münchener Psychoanalytiker Wolfgang Mertens aus seiner Praxis, "wie leicht die beiden Faktoren - einerseits unbewusste Konflikte, andererseits unbefriedigende Arbeitsbedingungen - miteinander verwechselt werden". Manager stärken beispielsweise ihr Ich mit Hilfe des Neurolinguistischen Programmierens (NLP), auch "Power-Prinzip" genannt. Erinnerungen beispielsweise an positive Erfahrungen werden mit einer speziellen Gedankentechnik so vergegenwärtigt, dass sie zu regelrechten Motivationsschüben "explodieren" können. Grundelemente sind "Ankern", bei dem Gefühle mit Bildern, Tönen oder Berührungen verknüpft werden oder Pacing (Spiegeln).
Dabei nimmt der Therapeut während der Unterhaltung die gleiche Körperhaltung wie der Klient ein, um eine verständnisvolle Stimmung zu erzeugen.
Andere Methoden probieren es mit Autosuggestion ("Ich bin gut", "Ich bin stark", "Ich bin selbstbewusst") oder der Transaktionsanalyse. Diese von Eric Berne in den 1960er Jahren entwickelte Therapie soll Menschen helfen, die unterschiedlichen Ebenen ihrer Verhaltensweisen zu erkennen. Dabei werden Gefühle, Wünsche, Ängste oder Triebe mit "Schlüsselwörtern" wie "Leiden, Spielen, Genießen" kategorisiert. Das Bild von der psychologischen Beschaffenheit des Menschen wird durch drei übereinander liegende Kreise symbolisiert, bestehend aus Eltern-Ich, Erwachsenen-Ich und Kindheits-Ich. Der Zweck solch populärer Vereinfachungen einer Persönlichkeitsentwicklung in überschaubar-berechenbare Unterteilungen heißt: effektive Nutzbarkeit im kommunikativen Handlungsraum eines Unternehmens. Rationalität bleibt das Prinzip der Heilung in Form der Kontrolle. Die individuellen Tiefen der Psyche bleiben weitgehend unberührt. Das kann natürlich auch etwas mit Anstand, Respekt oder Ehrfurcht zu tun haben, bestimmt aber auch etwas mit der Scheu von Managern gegenüber seelischen (Ab-)Gründen.
Unbewusste Konflikte
Eine Aufarbeitung unbewusster Konfliktstellen versuchen psychoanalytische Managementberatungen, die Symptome an ihren individuellen Ursachen ergreifen. Das Epoe-Zentrum (European Psychodynamik Organizational Consulting) beispielsweise konzentriert sich in enger Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Psychoanalytischen Institut auf die Organisationsberatung unter psychoanalytischen Perspektiven. Ein Symptom - etwa Redeangst oder Kontrollwahn - verbirgt in sich etwas, das nicht zum Vorschein kommen darf und verdrängt bleibt, weshalb das Symptom als Kompromiss zwischen Verdrängtem (zum Beispiel Angst) und Verdrängendem (Ich-Kontrolle) den Menschen oft quält, als eine Art Notausgang der falschen Lösung.
Die Psychoanalyse konfrontiert den Menschen mit einer detaillierten Entfaltung seiner persönlichen Geschichte(n). Denn selbst die Wahl eines Managers für ein bestimmtes Unternehmen resultiert auch aus unbewussten Wünschen. Das Unternehmen bekräftigt oder enttäuscht die Erwartungen der Mitarbeiter, indem es beispielsweise bestimmte Leistungen und Einstellungen belohnt, andere aber "übersieht", sagt der amerikanische Psychoanalytiker und Unternehmensberater Harry Levinson, "so kommt es schließlich zu einem vor- oder auch unbewussten, psychologischen Vertrag, der die wechselseitigen Erwartungen beinhaltet."
Jonny Held, das hatte später eine psychoanalytische Beratung ihm bewusst machen können, durfte, erzogen von einem strengen Vater, früher nie wütend sein und musste sich immer beherrschen. Seine Ich-Funktionen entwickelten frühreife Ausdrucksfonnen im Benehmen wie in der Weise zu sprechen, um sich zu kontrollieren und damit die Anerkennung des Vaters zu erhalten. Aggressionen wurden verdrängt und kehrten als Angst wieder. All seine späteren Bemühungen, als Manager seine Panikanfälle zu beseitigen, erhielten in den Seminaren zur Persönlichkeitsentwicklung jedoch immer wieder nur neue Kontrollansätze der Ich-Steuerung.
In psychoanalytischen Beratungen erfahren Manager hingegen, dass ihre Symptome meistens durch eigene Verdrängungsleistungen entstanden sind. Der Mensch lernt mit Beginn seines Lebens, sich nicht nur vor dem Außen einer Ich-fremden Umwelt zu schützen, sondern auch vor unliebsamen Affekten und Emotionen. Da werden Dämme des Verdrängens und Verleugnens errichtet gegenüber seelischen Zuständen, die vom Bewusstsein als nicht übereinstimmend mit den Erwartungen der Umwelt erachtet werden.
Der Düsseldorfer Psychoanalytiker und Unternehmensberater Peter Fürstenau erklärt hierzu: "Die Bearbeitung und Auflösung dieser unbewussten Determinationen von Behinderungen und
Einschränkungen der persönlichen Arbeitsgestaltung ist das eigentliche Ziel der Psychoanalyse in diesem Kontext: eine kritisch-aufarbeitende Tätigkeit."
Das wagen hierzulande nur wenige Manager, denen die Karriere häufig zur einzigen Berufung geworden ist. Das personalwirtschaftliche Effizienzdenken der Unternehmensberatungen plant eben lieber eine reibungslose Mobilisierung von Ressourcen und Motivationen der Führungskräfte und Firmenmitarbeiter.
Der Autor ist Management-Berater in Frankfurt am Main.
Quelle: Frankfurter Rundschau vom 26. August 2000, S. 6.