Pressespiegel
    
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Im therapeutischen Höhenrausch. 
Die "Neurolinguistischen Programmierer" versprechen das schnelle Glück und den Geist Albert Einsteins.
Von Thomas Saum-Aldehoff
     Während die großen psychotherapeutischen Schulen, von der 
Verhaltenstherapie bis    zur Psychoanalyse, in geschlossenen 
Zirkeln über die beste     Theorie und 
Methode     streiten, hat sich jenseits des wissenschaftlichen 
Elfenbeinturms     ein grauer Markt
     "alternativer" Therapien ausgebreitet. Diese oft esoterisch
     angehauchten 
Verfahren
     erfreuen sich beim Publikum wachsender Beliebtheit, wie die Flut
einschlägiger
     Kleinanzeigen belegt. Hier wird ein buntes Kaleidoskop von
     Selbsterfahrungs-Workshops und Ausbildungen in Reiki, Farb-,
     Aroma- oder Astrotherapie feilgeboten.
     Spitzenreiter auf diesem therapeutischen Basar, so ermittelten
     die Baseler 
Psychiater
     Asmus Finzen und Ulrike Hoffmann-Richter in einer einjährigen
Anzeigen-Analyse, ist
     das "Neurolinguistische Programmieren" (NLP). Anfang der 80er
     Jahre aus den 
USA
     importiert, entwickelte sich NLP hierzulande binnen kurzem zur
     Modetherapie 
mit
     einer kaum noch überschaubaren Zahl konkurrierender
     "Ausbildungsinstitute". 
Dort, so
     schreibt der Münchner Psychologe Colin Goldner in seinem Buch
"Psycho-Therapien
     zwischen Seriosität und Scharlatanerie" (Pattloch-Verlag 1997),
     können sich Interessierte allein per Fernkurs oder
     Kurzzeit-Workshop zum 
NLP-"Praktiker"
     befördern lassen: "Der ,Grundkurs' dauert in der Regel zwei Tage,
     zum 
,Praktioner'
     kann man sich in zwei Wochen ausbilden lassen, in weiteren zwei
     Wochen zum ,Master Practioner' (Gesamtkosten: zwischen 7000 und
     10 000 Mark)."
     "Powervolle" Technik
     Der Erfolg der Neuroprogrammierer basiert darauf, daß sie
     schnelle 
Therapieerfolge
     bei minimaler Anstrengung versprechen. "Heute haben viele
     zigtausend 
Menschen
     NLP-Ausbildungen absolviert", heißt es in der Verlagsankündigung
     eines 
Buches über
     "powervolle" Techniken, und großspurig geht es weiter: "Sie
     können in einer 
einzigen
     Sitzung Lernen beschleunigen, Phobien neutralisieren, Kreativität
     steigern, 
Beziehungen
     verbessern und Allergien beseitigen. (...) Wir können heute
     erreichen, was 
noch vor
     einem Jahrzehnt Genies vorbehalten war."
     Das ist durchaus wörtlich gemeint. In seinem Buch "Einstein"
     verspricht der NLP-Altvordere Robert Dilts, per
     neurolinguistischer Programmierung die 
"genialen
     Denkstrukturen" des berühmten Physikers zu erlernen. "Unterwegs
     zur Vollkommenheit", "Die Magie der Erfolgreichen", "Think like a
     winner!" oder 
"Sport in
     State of Excellence": Buchtitel, die den Größenwahn spiegeln.
     Wissenschaftlich geerdet ist dieser therapeutische Höhenrausch
     freilich 
nicht. Sogar die
     NLP-Therapeuten selbst kommen wie Gernot Schauer zu dem
     ernüchternden 
Fazit,
     daß die Neuroprogrammierer eine empirische Erforschung und
     Erfolgskontrolle 
ihrer
     Verfahren fast gänzlich unterlassen haben: "Es existieren zwar
     einige 
Ansätze zu
     Feldstudien innerhalb der NLP-Szene, diese wurden bisher jedoch
     kaum 
publiziert."
     Der Psychotherapieforscher Klaus Grawe rechnet NLP denn auch zu
     jenen 
Verfahren,
     für die "bisher jede stichhaltige Wirksamkeitsuntersuchung
     (fehlt) und 
damit das
     Minimalkriterium dafür, daß man von einer wissenschaftlich
     fundierten 
Therapieform
     sprechen kann".
     Gernot Schauer rechtfertigt diese forscherische Abstinenz mit dem
     Hinweis, 
daß die
     NLP-Gründerväter Richard Bandler und John Grinder schlichtweg
     "kein 
Interesse an
     einer wissenschaftlichen Fundierung" hatten, als sie im
     Kalifornien der 
70er Jahre ihren
     therapeutischen Methodenmix entwickelten. Der Psychologe und der
     Linguist 
wurden
     von der Vermutung getrieben, daß nicht der theoretische
     Hintergrund den 
Erfolg guter
     Therapeuten ausmacht, sondern deren praktisches Vorgehen. So
     schauten 
Bandler
     und Grinder drei damals berühmten Therapeuten unterschiedlicher
theoretischer
     Ausrichtung bei der Arbeit über die Schulter: der
     Familientherapeutin 
Virginia Satir,
     dem Gestalttherapeuten Fritz Perls und dem Hypnotherapeuten
     Milton 
Erickson. Die
     beiden Beobachter analysierten die Sprache und Körpersprache der
     drei "therapeutischen Magier" und destillierten sozusagen als
     Essenz aus deren 
Vorgehen
     Interventionstechniken, die zum Grundstock der NLP-Schule wurden.
     Ein zentrales Vorgehen ist dabei das "Pacing und Leading". Der
     Therapeut 
"schwingt"
     sich zunächst sprachlich und nonverbal auf den Klienten ein,
     übernimmt 
dessen
     Sitzhaltung, Atemrhythmus, Mimik, Gestik, Sprechweise und
     Stimmlage. Er beobachtet auch, durch welchen "Sinneskanal" der
     Klient die Welt bevorzugt wahrnimmt, erinnert und beschreibt:
     Verwendet er optische Metaphern, so 
streut auch
     der Therapeut Wörter wie "groß" oder "bunt" in seine Sprache ein;
     scheint 
ihm der
     Klient eher akustisch orientiert, so verwendet auch der Therapeut
     Begriffe 
wie
     "dröhnend" oder "melodisch". Auf diese Weise, so vermuten die
     NLPler, 
verstärkt sich
     der Kontakt und Gleichklang (Rapport) zwischen Behandeltem und
     Behandler - 
der
     Klient fühlt sich aufgehoben und entspannt.
     In diesem Zustand versucht nun der Therapeut, den Klienten sachte
     zu 
führen. Er
     verändert zum Beispiel unmerklich seine Sitzhaltung und
     beobachtet, ob sein Gegenüber ihm folgt. Ist dies der Fall,
     beginnt er nun Schritt für Schritt, 
den Klienten
     auch sprachlich und gedanklich auf das vereinbarte Therapieziel
hinzulenken. Hinter
     der Bezeichnung "Neurolinguistisches Programmieren" steckt die
     Annahme, daß 
sich
     durch solche "linguistische" - sprachliche - Interventionen beim
     Klienten 
unbewußte
     "Programme" und Verschaltungen von Nervenzellen ("neuro")
     verändern und umprogrammieren lassen. Der Patient selbst legt vor
     der Therapie fest, in 
welchen
     "Soll-Zustand" er programmiert werden will. Die
     Neuroprogrammierer 
unterscheiden
     in kindlich anmutender Schlichtheit zwischen "guten" und
     "schlechten" Erlebenszuständen. Tritt ein schlechter Ist-Zustand
     auf, etwa Angst, 
versucht der
     Therapeut, ihn mit Hilfe eines erinnerten "guten Zustands" zu
neutralisieren.
     Die Hand am Knie
     Dabei bedient er sich unter anderem der Technik des "Ankerns".
     Der Klient vergegenwärtigt sich zunächst die Angst mit all den
     sie begleitenden 
Empfindungen und
     Gedanken. Der Therapeut verknüpft nun diesen
     psychophysiologischen Zustand 
mit
     einem "Anker", zum Beispiel einer Berührung am linken Knie. Dann
     fordert er 
den
     Klienten auf, sich in der Erinnerung in eine Situation
     zurückzuversetzen, 
in der er sich
     entspannt und selbstsicher fühlte.
     Diesen Zustand kennzeichnet der Therapeut mit einem weiteren
     Anker, etwa 
einem
     Druck aufs rechte Knie. Berührt der Therapeut nun beide Knie
     simultan, so 
löst er laut
     NLP-Theorie damit im selben Moment beide Anker und damit
     miteinander unvereinbare physiologische Zustände aus. Die Angst
     wird durch die 
gleichzeitige
     Anwesenheit der Entspannung "neurologisch" ausgelöscht.
     Die Methode ähnelt der "Klassischen Konditionierung" der 
Verhaltenstherapie, so wie
     überhaupt viele NLP-Techniken an Verfahren anderer
     therapeutischer Schulen anlehnen. Der therapeutische Anspruch
     geht über das Beseitigen von 
Symptomen
     hinaus. Gemäß dem Motto "Gut drauf sein, auch wenn's schief geht"
     (so ein NLP-Buchtitel) wird eine persönlichkeitsumfassende
     Allround-Zufriedenheit angestrebt. Der Klient formuliert nach
     Manier der positiven Denker die 
Ziele: "Ich lebe
     in Zufriedenheit und trete schwierigen Situationen mit
     Gelassenheit 
entgegen"; "ich trage
     die Fähigkeiten zur Lösung all meiner Probleme in mir".
     Dieser zunächst harmlos anmutende therapeutische Größenwahn wird
     spätestens 
dann
     bedenklich, wenn er auf Menschen trifft, die "einer ganz anderen
     Ansprache 
bedürfen",
     schreibt der Frankfurter Therapeut und Managementtrainer Norbert
     Copray in 
der
     Zeitschrift Psychologie Heute. Copray gibt zu bedenken, daß
     positive 
Suggestionen
     nach NLP-Manier "für einen Menschen, der dazu neigt, Probleme,
     Krisen, Persönlichkeitsaspekte zu leugnen, Gift sein können, weil
     sie ihn in seiner 
Lebenslüge
     nur weiter bestärken". Und der Hamburger Sozialpädagoge Rolf
     Winiarski 
ergänzt:
     "Während bei anderen Verfahren der Klient das Lernen selbst
     besorgen muß, 
bastelt
     ihm das NLP schöne neue Programme, schnell und easy wie die
     Mikrowelle."
     Keine schmerzhaften Einsichten in eigene Fehler und
     Unzulänglichkeiten, 
keine
     mühsamen Veränderungen, keine echte Beziehung zwischen Klient und
Therapeut,
     statt dessen ein zum Zwecke der Beeinflussung technisch
     hergestellter 
"Rapport" und
     viel "suggestives Brimborium" (Goldner).
     "NLP bedient auch in der Art, wie es beworben wird, die Erwartung
     an eine 
leicht
     faßliche, schnell erlernbare und zum Erfolg führende
     Allerweltsmethode", 
rügt Copray.
     Kein Wunder, daß NLP-Seminare vor allem bei Managern und Krämern
     zum Schlager wurden. In Büchern über "NLP im Verkauf" wird den
     vereinigten Gebrauchtwagenhändlern dieser Welt versprochen: "Der
     Erfolg wird nicht auf 
sich  warten lassen. Sie werden Geschäfte abwickeln, die Ihnen 
zuvor   nicht gelungen sind."
     Unter dem Motto "Verdreifache Dein Einkommen" sollen sich graue
     Verkäufer 
zur "powervollen" Umsatzkanone mausern. Wenn Müdigkeit oder gar
     Zweifel an 
ihrem Tun an ihnen nagen, werden rasch energiespendende
     "Ressource-Zustände" zu Bewußtsein geführt, "um immer größere
     Herausforderungen zu meistern".
     Diese Klientel hat den Vorteil, daß sie sich nicht mit den
     ethischen Ansprüchen und  Bedenken der Therapeuten 
herumzuquälen braucht und das     NLP-Repertoire gegenüber ihren
Kunden zu jenem Zweck einsetzen     kann, zu dem es ganz
offensichtlich taugt: zur gezielten     Manipulation. 
Quelle: Frankfurter Rundschau, 27.09.97.