Pressespiegel
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Für viel Geld auf Effizienz getrimmt
Markus Heller über das "neurolinguistische Programmieren"
Auf dem Markt der sonderbaren Angebote,
die zu einem erfolgreichen und glücklichen Leben verhelfen sollen, verzeichnet
das neurolinguistische Programmieren
derzeit die höchsten Zuwachsraten. Früher
waren es die Außerirdischen, die Hilfe
bringen sollten, oder man kroch gleich in
einen Orgonakkumulator von Wilhelm
Reich und ließ sich strahlungsmäßig aufladen. Mit NLP darf nun jeder, der es zu wissen wünscht, erfahren, daß er "alles in
sich hat, was er braucht". Um das zu entdecken, sind allerdings beträchtliche Gebühren zu entrichten. Ein Wochenendkurs
kostet selten weniger als 400 Mark, Fortgeschrttene oder Besserverdienende zahlen
bereitwillig auch schon mal die fünffache
Summe.
Bereits der Titel "Der Zauberlehrling" -
eines mittlerweile in der fünften Auflage
vorliegenden NLP-Übungsbuchs - zeigt,
daß es bei dieser Art der Therapie offenbar
nicht mit rechten Dingen zugeht. Mit NLP,
wird verheißen, können die Patienten
nicht nur schwere Ängste und andere psychische Störungen binnen kurzer Zeit abbauen, sich blitzschnell komplizierte Zusammenhänge einprägen, sondern auch in
Beruf und Liebe enorm vorankommen.
Doch nicht nur die Therapierten, auch die
Therapeuten verfügen, dank der Methode
offenbar über Fähigkeiten, an denen es
dem Rest der Menschheit gebricht. Ein in
NLP ausgebildeter Berater, verspricht das
Buch, benötigt wenige Sitzungen, wo andere jahrelange Lern- oder Therapieprogramme durchführen. Am Ende der Behandlung soll dann ein auf Effizienz programmiertes menschliches Wesen stehen,
das nicht nur sich selbst, sondern auch die
Produkte seines Arbeitgebers optimal verkaufen kann - sogenannte Kommunikationsgenies. Unterdessen haben sich selbst Lehrer, die in neurolinguistischem Programmieren geschult sind, nach jahrelangem Bemühen nicht in solche verwandelt - wie ein jeder im Gespräch feststellen
kann.
Erfunden wurde NLP von dem Mathematiker Richard Bandler und dem
Lingustikprofessor John Grinder Mitte der siebziger Jahre in Kalifornien. Seine Lehrjahre
verbrachte Bandler in Santa Cruz, das, wie sein Biograph Wolfgang Walker anmerkt,
auch heute noch unter Esoterikern als ein "Ort der Kraft" gilt; Bandler mag sie
schon damals gespürt haben. Sicher ist
hingegen, daß er sich damals mit der "faszinierenden Lehre" des indianischen
Zauberers Don Juan Matus beschäftigte und
Inspiriert von den
Lehren eines Zauberers
auch sonst die Strömungen seiner Zeit
verinnerlichte. Dazu zählt Walker den offenen
Konsum von psychedelischen Drogen wie
LSD, meskalinhaltigen Substanzen und
"magic mushrooms". Ähnlich wie Drogen
soll nun die Sprache des NLP das Bewußtsein verändern.
Da jegliche Esoterik beansprucht, nicht
an den sonst in der Wissenschaft gültigen
Maßstäben gemessen werden zu dürfen,
kommt auch Bandler Biograph Wolfgang
Walker nicht ohne den Hinweis aus, daß
Versuche, NLP anhand "traditioneller klinischer Denkmuster zu bewerten, von
vornherein zum Scheitern verurteilt sind".
Kritik zwecklos, nur wer an NLP glaubt, darf sich dazu äußern.
Die Psychowelle schwappte vor zehn
Jahren nach Deutschland herüber. Längst schicken große Unternehmen wie Siemens, IBM, Esso, Rewe und Bayer ihre Mitarbeiter in NLP-Seminare und legen
dafür beachtliche Summen auf den Tisch. Was daran überrascht, ist die Tatsache,
daß niemand weiß, ob diese Investitionen überhaupt einen Gewinn nach sich ziehen.
Unternehmen schicken ihre
Mitarbeiter in die Seminare
Auch Bandler und Grinder haben es bisher vermieden, einen Erfolgsnachweis, für ihre Therapie zu liefern. "Alles, was wir euch hier erzählen werden: ist gelogen", eröffnen die beiden schon mal einen ihrer Vorträge. Ihre Lehren, führen sie aus,
seien nicht wahr und sollen nur Modelle
der Wirklichkeit liefern. Sollten die Techniken dann entgegen der Ankündigung nicht
funktionieren, resümierte "Die Zeit", "ist die Hintertüre bereits offen: Alles ist ja
nur ein Modell".
NLP beruht auf der Vorstellung, daß
man sich selbst und seine Mitmenschen
mit erlernten Tricks steuern und beeinflussen kann. Mittels des "Ankerns" sollen die
Klienten positive Empfindungen bewußt speichern und jederzeit wieder abrufen
können. Den Klienten wird vermittelt, sie müßten sich, etwa in einem Verkaufsgespräch, auf ihr Gegenüber einstellen, indem sie sich dessen Auftreten anpassen -
ein Verfahren indirekter Hypnose, das die
NLP-Leute Pacing nennen. Sollte diese Art
der Manipulation gelingen, bei der das
Selbst anscheinend vorübergehend aufgegeben wird, damit dem Gegenüber unmerklich der eigene Wille aufgezwungen wird, spricht der NLPler von einem guten
"Rapport". Das heißt: Das Gegenüber reagiert dann so, wie es von ihm gewünscht
wird.
Ob sich mit NLP tatsächlich "strahlende
Erfolge" für die Klienten erreichen lassen
und nicht nur "strahlende Gewinne" für
die Therapeuten, wird denn auch von Kritikern wie Niels Birbaumer, dem Direktor
des Instituts für medizinische Psychologie an der Universität Tübingen, stark bezweifelt. Er sieht nicht einmal einen Ansatz dafür, daß die NLP-Gurus den Effekt ihrer
Therapie empirisch erweisen wollen. Für ihn handelt es sich bei der Modeerscheinung NLP schlicht um eine "Psychosekte".
Das interessierte Publikum läßt sich von
solchen Einwänden bekanntlich nicht irritieren. Mittlerweile sind mehr als hundert
Bücher zum Thema NLP auf dem deutschen Markt erhältlich, und selbst ansonsten als seriös geltende Verlage haben das Geschäft gewittert und einschlägige Ratgeber in ihr Programm aufgenommen. In jeder größeren deutschen Stadt sind private
Institute aus dem Boden gesprossen; Hunderttausende dürften mittlerweile an
NLP-Kursen teilgenommen haben. Zugleich lassen sich immer mehr Menschen
in insgesamt neunwöchigen Veranstaltungen selbst zum NLP-Practitioner, anschließend zum Master-Practitioner und schließlich zum NLP-Trainer ausbilden. Sie dürfen darauf hoffen, die investierten zwölftausend Mark später vielfach hereinzuholen - wenn sie selbst in Sachen NLP
unterweisend tätig werden und ihr Wissen gewinnbringend weitergeben.
Daß sich kaum Teilnehmer an NLP-Kursen enttäuscht äußern, wundert den Tübinger Wissenschaftler Niels Birbaumer nicht: "Erst zahlt man Tausende von Mark
für so ein Seminar - und muß dann zugeben, daß es nicht geholfen hat. Da käme
man sich doch lächerlich vor." Viele NLP-Schüler sind auch möglicheweise deswegen nicht enttäuscht, weil sie vorher nur diffuse Erwartungen hatten. Und für andere ist NLP eine weitere Art die Freizeit zu gestalten - neben esoterischen Wanderungen, Kristallzauber oder dem Legen
von Tarotkarten.
Da der Werkzeugkasten des neurolinguistischen
Programmierens eine ganze Reihe von Begriffen wie "Chunken", "Kalibrieren" oder "Reframing" enthält, die stark an den Scientology-Jargon erinnern, haben manche NLP-Schulen in letzter Zeit ihre Strategie geändert. Damit die Unternehmen auch weiterhin ihre Mitarbeiter anmelden, weiß ein NLP-Lehrer, bekommen die Seminare mittlerweile etwas unverfänglichere Titel. Auch die Abkürzung NLP taucht dann in den Seminarankündigungen nicht mehr auf.
Quelle: Stuttgarter Zeitung Nr. 56, 08.03.97.