Pressespiegel
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Ein Beitrag zum Psychotherapiekongreß in Hamburg: Was steckt hinter der Modetherapie NLP?
"Was wir Euch erzählen, ist gelogen"
Von Jochen Paulus
Richard Bandler und John Grinder sind schon etwas eigenartige Wissenschaftler. "Alles, was wir euch hier erzählen werden,
ist gelogen", geben die Amerikaner manchmal offen zu, bevor sie in ihre Lehre einführen. Der Mathematiker und der Linguistikprofessor haben das
Neurolinguistische Programmieren (NLP) erfunden. NLP ist Psychotherapie und Verkaufstechnik in einem, laufend kommen weitere Einsatzgebiete
hinzu. Seine Verfechter rühmen sich enormer Erfolge. Schwere Ängste und andere psychische Störungen lassen sich mit NLP angeblich minutenschnell heilen. Ein Therapeut soll gar noch beim Einchecken auf dem Flughafen rasch einen Selbstmordkandidaten von seinen Suizidgedanken befreit haben.
Trotz des besonderen Verhältnisses der Gründer zur Wahrheit haben solche Geschichten zum Erfolg des NLP beigetragen. In Deutschland gibt
es gleich mehrere Gesellschaften, die für die Methode werben. Tausende von Therapeuten arbeiten inzwischen mit NLP-Techniken und beraten
nach eigenen Angaben Weltfirmen wie IBM und
BMW. "Vieles läuft einfach reibungsloser", zitierte die Süddeutsche Zeitung einen Manager von Sandoz, der glaubt, daß NLP-Training seine
"Kommunikationsfähigkeit tatsächlich verbessert
hat". Inzwischen gibt es auch eine Schwemme von
NLP-Büchern mit verheißungsvollen Titeln wie
"Der Zauberlehrling" oder "Unterwegs zur Voll-
kommenheit".
Der Industrieberater Alfred Bierach macht sich
in einem Buchtitel gar anheischig, "Die letzten
Geheimnisse der Starverkäufer" zu verraten. Er
hält es für möglich, "den Kunden auf den Abschluß hin zu konditionieren" und "mit einer großen Trefferquote Gedanken" zu lesen. Auch in
Schulen hat die neue Lehre Einzug gehalten. Die
amerikanische Autorin Linda Lloyds kommt ratlosen Pädagogen mit "Des Lehrers Wundertüte" zu Hilfe und findet angeblich via NLP heraus, was
in den Köpfen ihrer Schüler vor sich geht.
Die Erfolgsgeschichte begann in den siebziger
Jahren. Bandler und Grinder fragten sich damals,
warum einige Startherapeuten über beinahe magische Fähigkeiten zu verfügen schienen, sie aber
nicht an andere weitergeben konnten. Wußten die
Meister selbst nicht, was sie eigentlich machten?
Die NLP-Gründer wollten es herausfinden und
analysierten das Vorgehen von drei dieser Gurus:
Fritz Perls, Begründer der Gestalttherapie, Virginia Satir, einer berühmten Familientherapeutin, und Milton Erickson, der als legendärer Hypnotiseur gilt. Anschließend gaben Bandler und Grinder bekannt, sie hätten die "Struktur der Magie" (so ihr Buchtitel) enträtselt.
Darin führten sie aus, daß Menschen die Welt
verschieden erleben, weil sie unterschiedliche Repräsentationssysteme benutzen: Manche bevorzugen Bilder, anderen sind Gefühle wichtiger. Das
Geheimnis der Magier sei, daß sie sich ihren Klienten anpaßten: Denkt der Klient in Bildern, sprechen sie mit ihm eine visuelle Sprache ("Ich
sehe Ihr Problem ..."). Ist er gefühlsorientiert, folgen sie ihm ("Ich habe das Gefühl, dies ist jetzt sehr wichtig"). Wie der Klient denkt, läßt sich angeblich zum einen aus seinen Formulierungen ableiten ("Mein Leben sieht
leer aus"). Zum anderen
wollen Bandler und Grinder herausgefunden haben, wie sie aus der
Blickrichtung eines Klienten sein Repräsentationssystem erkennen können:
Wer beispielsweise nach
links oben schaut, erinnert sich an Gesehenes,
denkt also in Bildern. Wer dagegen nach rechts
unten blickt, beschäftige sich mit Körperwahmehmungen oder Gefühlen.
NLP ist Psychotherapie
und Verkaufstechnik zugleich.
Täglich kommen
neue Einsatzgebiete hinzu
Bandler und Grinder hielten sich nicht damit
auf, in einem Experiment nachzuprüfen, ob diese
Theorie stimmt. Statt dessen entwickelten sie immer neue therapeutische Methoden, wobei sie
Elemente verschiedener Schulen einbauten. Statt
Belegen für die Wirksamkeit ihrer Lehren präsentierten sie Erfolgsgeschichten. So will einer der
beiden einen Prozeß gewonnen haben, indem er
das Repräsentationssystem des Richters analysierte. Auf den Nimbus der Wissenschaft mochten
Bandler und Grinder jedoch nicht verzichten. Ihre
ersten Werke boten eindrucksvolle Diagramme
von grammatikalischen Tiefenstrukturen und
hochmathematisch aussehende Formeln.
Doch der Mathematiker und der Linguist fanden noch einen genialeren Dreh, mit Zweiflern fertig zu werden: Sie gaben ganz offen zu, daß
ihre Lehren nicht wahr seien. Sie sollten nur Modelle der Wirklichkeit liefern. Ob sie stimmen, interessiert nicht, wichtig ist nur, daß sie funktionieren. In der Tat bietet jede wissenschaftliche
Theorie nur ein Modell der Wirklichkeit. Doch
Wissenschaftler messen ihre Theorien in häufig
aufwendigen Studien an der Wirklichkeit. Oft genug werden die Theorien widerlegt und machen neuen Platz. Diese frustrierende Arbeit ersparen
Bandler und Grinder sich und ihrer Kundschaft.
Jeder darf vorgehen, wie er will, und behaupten,
was er will - Hauptsache, er ist am Schluß vom
Ergebnis seiner Kunst überzeugt.
Mit dieser selbstkreierten Erkenntnistheorie gerüstet, können Bandler und Grinder selbst schwer
glaubhafte Dinge behaupten. Sie können sich
dazu noch über andere Therapieschulen lustig machen, deren Vertreter an ihre Theorien glauben und versuchen, der Wahrheit auf die Spur zu
kommen. Die beiden haben nur Spott für Psychoanalytiker übrig, die in
jahrelanger Behandlung das Unterbewußte ihrer Probanden herausarbeiten wollen. "Ich weiß nicht, was die Wahrheit ist", bekennt einer der
NLP-Gründer, "es kommt darauf an, nützlichere Selbsttäuschungen
zu schaffen." Die NLP-Erfinder halten die Begriffe "Über-Ich" und "Es"
für Fehlkonstruktionen der Psychoanalytiker, weil
sie ihren Besitzer nur "mutwillig quälen". Auch
sie wollen Persönlichkeitsteile schaffen, aber solche, die ihren Klienten wohlgesonnen sind. "Die
Teile, die ich für dich kreiere, sind kreative Teile,
die alles tun können." Ein solches Teil kann etwa
bei Ehestreitigkeiten an die positiven Seiten des
Partners erinnern.
Um neue Persönlichkeitsteile zu schaffen oder
vorhandene zu verändern, verwenden NLP-Therapeuten häufig Hypnose. Sie bitten den Klienten,
mit Teilen ihrer Persönlichkeit Kontakt aufzunehmen, sie zu befragen, Antworten auszurichten,
und führen oft regelrechte Verhandlungen zwischen Persönlichkeitsteilen mit verschiedener
Meinung. Die Klienten spielen mit - unter Hypnose scheint auch Unwahrscheinliches glaubhaft.
So skurril diese Teilefabrikation wirkt: NLP-Therapeuten versuchen damit letztlich nichts Neues. Sie vermitteln Hilfesuchenden ein Persönlichkeitsmodell, das ihre Probleme erklärt und Auswege
zeigt. Jede Therapieschule nutzt Mechanismen,
Kräfte oder eben Persönlichkeitsteile, die Außenstehenden eher merkwürdig vorkommen. Das
neue ist, daß die NLP-Therapeuten nicht ein Modell haben, an das sie glauben, sondern individuell
zugeschnittene Modelle an den Klienten bringen.
Ob die Strategien des NLP wirklich so viel bewirken, wie ihre Erfinder glauben machen, ist
zweifelhaft. In Untersuchungen über die Repräsentationssysteme von Patienten schnitt die Theorie schlecht ab. Was etwa die Augen zeigten,
stimmte nicht mit dem überein, was die Sprache
angeblich verriet. Der Clou der Sache: Obwohl
die zugrundeliegende Idee sich nicht bestätigte,
hielten Klienten Therapeuten für vertrauenswürdiger, wenn diese nach NLP-Art ihre Sprache auf
das vermeintliche Repräsentationssystem abstimmten. Wenn die Therapeuten allerdings gezielt ein anderes Repräsentationssystem benutzten, faßten die Klienten ebenfalls Vertrauen.
Offenbar gefiel es ihnen, daß die Therapeuten so
oder so auf sie eingingen.
Wenn die Belege für NLP so dürftig sind, muß
es andere Gründe haben, daß die Lehre immer
mehr Anhänger findet. Offensichtlich sind Bandler und Grinder brillante Verkäufer. Sie versprechen ihren Schülern mächtige Techniken, doch
falls sie nicht funktionieren, ist die Hintertüre bereits offen: Alles ist ja nur ein Modell. Wissenschaftstheoretiker nennen dies Immunisierung.
Wenn jedoch Workshop-Besucher die Rezepte
ausprobieren, lernen sie die Grenzen der Magie
kennen. So räumt der deutsche NLP-Ausbilder
Gerhard Fries ein, daß sich die sagenhaften
Angst-Blitzkuren eher für leichte Fälle eignen, "in
Abgrenzung zu Richard Bandler, der in der ihm
eigenen Grandiosität behauptet, alle phobischen
Reaktionen damit behandeln zu können".
Der NLP-Meister selbst dürfte sich jedoch an
den letzten Ratschlag seines alten Meisters Erickson halten. Der Hynotiseur hatte einst dem noch
zweifelnden Bandler in zweideutiger Prophezeiung
empfohlen, zumindest so zu tun, als ob er ein Therapeut wäre: "Und wenn du in dem So-tun-als-ob wirklich gut bist, dann werden die Leute, mit denen du arbeitest, so tun, als würden sie sich verändern. Und sie werden vergessen, daß sie nur so tun, als ob ... für den Rest ihres Lebens. Hauptsache,
du läßt dich dadurch nicht täuschen."
Quelle: DIE ZEIT Nr. 31, 29.07.94, S. 23 (Themen der Zeit: S. 28)
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