Pressespiegel
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Blick auf den Bildschirm
Du schaffst es, Emil!
H. Sf. Autofahrer auf märkischen Alleen sollten vorsichtig sein: Es kann passieren, dass sie an manchen Tagen einen Mann und eine Frau mitten auf der Strasse vor sich her hüpfen sehen, die mit den Armen schlagen und unablässig singen: «Stell dich mal vor, heute abend unter die Brandeburger Tor!» Die beiden, die da wie zwei alkoholkranke Amseln den Verkehr gefährden, haben sich nicht der Fürsorge einer psychiatrischen Einrichtung entzogen, sondern stammen aus dem Fernsehen. Der Mann ist ein mehrsprachig stammelnder
«Motivationstrainer», der hilflose Zeitgenossen mit dem Kampfruf «Tsjakka - du schaffst es!» in Amokläufe erzwungener Lebenslust hineinjagt.
Während seine Kollegen aus den Talkshow- Kummerkästen nur
nach der Devise verfahren: «Das Leben findet täglich statt, und wir
reden darüber» («Mensch Ohrner», ZDF), lässt Emil Ratelband solche
Lebenshilfe praktisch werden: Immer dann, wenn von «Ängsten,
Phobien und Zweifeln» geschüttelte Menschen so weit sind, dass sie
vor sich hinmurmeln: «Mist, ich will mein Leben ändern!», dringt dieser
Vitalbolzen, der leicht mit dem Gebrauchtwagenhändler der Mafia
verwechselt werden könnte, in ihre Wohnungen ein und unterwirft sie
seinem Brachialprogramm. Wer Höhenangst hat, wird von Ratelband
in der Fensterputzergondel auf Fernsehtürme entführt. «Der Klaus, der
richtig Angst für Hunde hat», muss einen Kampfköter kitzeln, und Frau
Maren, «der einzige Ossi, der bis heute nie im Westen war», weil sie
unter Agoraphobie leidet und nicht mehr auf die Strasse geht, wird von
ihm im Bentley zum Metzger um die Ecke entführt.
Was bisher auf der Couch des Psychiaters passierte, hat RTL 2 zum
Stoff eines neuen Programms gemacht. Das Medium schickt seinen
hauseigenen Wunderheiler auf psychisch Kranke oder leicht Gestörte
los. Sie müssen nur tiefschwarze Ringe unter den Augen haben und
bereit sein, dem rasenden Geschwätz Emils geduldig zuzuhören. Sie
dürfen auch dann nicht fliehen, wenn er wie ein kampflustiger Primat
sich auf die Brust trommelt, dabei schwer durch die Nase schnauft und
Motivationstänze der eingangs beschriebenen Art aufführt.
«Wenn du nur willst, dann kannst du alles!» lautet die Botschaft
dieses Psychomechanikers, der die Menschen mit Macken dazu
bringen will, ihren «eigenen Schalter umzudrehen». Schamlos grabscht
er sie an («Wir müssen den Körper ändern!»), hält ermutigend
Händchen und versichert gleissnerisch: «Ich mach' hier eigentlich nix»,
wenn er gerade dabei ist, die armen Tröpfe zu Narren zu machen.
Seine Vorstellungen von der Hydraulik der Seele folgen einer
pfeilgeraden Kausalität: «Und wenn ich nicht der Emil wäre, sondern
eine schöne nackte Frau?» fragt er den höhenkranken Antonio, als der
nach einer Himmelfahrt würgt und sich windet. «Ne, kein
Unterschied», keucht der noch nicht ganz Erlöste zurück, bevor er
oben auf dem Turm zu seiner Überraschung seine Frau trifft.
«Wünsch dir was» trifft hier Reality TV und präsentiert ein Mit- und
Mutmach-Fernsehen, das keine Grenzen kennt. Irgend jemand muss
Emil Ratelband das Ego so mächtig aufgeblasen haben, dass er sich
selbst zu dieser tollkühnen Sendung ermächtigt fühlte. So wollen wir
denn glauben, dass ihm in der 100. Folge auch einmal ein Satz gelingt,
der annähernd den Regeln der deutschen Grammatik gehorcht.
«Tsjakka - du schaffst es, Emil!»
(RTL 2, sonntags, seit dem 25. Okt.)
Quelle: Neue Zürcher Zeitung, FERNSEHEN, 10.11.1998 - Nr. 261, S. 52.
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