Claus David |
Beitrag vom 13-02-00 12:14
Ein Beitrag von mir auf der NLP4all-Mailing-Liste, der evtl. auch hier interessiert:
Ich habe jetzt die 800 Seiten Dietrich Dörner "Bauplan für eine Seele", Rowohlt, 1999, einmal quer gelesen. Da ist für NLP imo sehr viel drin, wie auch auf den Webseiten des Psi-Projektes von Dörner und anderen der UNI Bamberg. Ich werde es ein zweites Mal lesen, um eine Zusammenfassung schreiben zu können, bzw. aus seinem Modell der Psyche eine für NLP anwendbare Struktur abzuleiten.
Das Projekt geht interessanterweise von einem ähnlich strukturalistischen Ansatz wie NLP aus: Man könne die Psyche formalisieren und programmieren und somit modellieren. Spätestens nach der Lektüre von Wilber "Eros Logos Kosmos" halte ich diesen Ansatz für reduktionistisch bis gefährlich, indes muss man deshalb ja nicht die Ergebnisse einer guten Forschung ignorieren und kann sie gegebenenfalls in einen holistischen Ansatz einbauen. Dörner, der ja einer der renommiertesten deutschen Psychologie-Professoren ist, baut seine Arbeit besonders auf der deutschen oder europäischen Tradition der Psychologie auf, ist also nicht so amerikanisch kognitiv, behaviouristisch eingeengt wie auch das NLP, und kann Begriffe, die im NLP leider weitgehend negiert werden, wie Emotion und Bedürfnis, den ihrer Bedeutung IMHO zukommenden Platz geben.
Er führt auch aus wie die Begriffsverwirrung bei "Gefühl" und "Bewusstsein" die Modellierung der menschlichen Psyche erschwert. Bei dem Begriff "Bewusstsein" zumindest ist er allerdings auch nicht auf dem Stand des Diskurses, und ein solcher könnte seinem Projekt auch von vornherein jede Chance und Motivation entziehen, so dass er es negieren muss. Er wird zwar IMHO niemals einen Seelen-Computer bauen können, aber während der Modellierung sind Dörner und sein Team schon weiter gekommen, als man überhaupt zu erwarten wagen würde. Heißt: Im Prinzip ist sein Modell sehr, sehr interessant und ein NLP, welches Menschen modellieren können will, kommt IMO nicht umhin, diese Forschung näher zu betrachten. (Ich spreche jetzt zu den NLPlern, nicht zu denen, die NLP mit einem Schnellkurs in Krypto-Ericksonismus verwechseln.)
Also gerade zu Emotion ist er sehr intereesasant, vor allem im Zusammenhang zu den Forschungen von LeDoux, Damasio, Panksepp etc. über Emotion. Sein Modell zu Linguistik indes ist eher schwach, da sind die Cognitive Liguistics weiter. Das Pendant zu dem PSI-Projekt in den USA ist evtl. ein ähnliches Projekt, welches der ober-renommierte Mathematiker und Philosoph Douglas Hofstadter inititiert hat. Darüber weiß ich (noch) zu wenig. Und sein Klassiker zur Selbst-Reflexivität: Goedel Escher Bach, na ja ich muss es wohl noch viermal lesen.
Anyway: Das Grundkonzept des Aufbaus der menschlichen Seele bei Dörner und Team erscheint mir stimmig und aufregend, fundiert mit exakter Darstellung der Neurologie, und ein Muss für ernsthaftes fundiertes NLP.
Das Buch ist indes nicht leicht zu lesen, enthält eher viel Mathematik, neuronale Netze, komplexe Flussdiagramme, etc.
Ach ja, "Bauplan der Seele" beschreibt die Seele als selbst-organisierenden, komplexen Computer.
Näheres demnächst, nach der 2.Lektüre, kleiner gechunkt.
p.s.: Würde mich über Auseinandersetzung zu Dörner natürlich freuen. Zieht euch mal das Programm "PSI" von der Webseite des Projektes, das ist sehr lustig und demonstriert, dass die Modellierung der Neurologie schon recht gute Ergebnisse gebracht hat: Psi-Homepage: http://www.uni-bamberg.de/~ba2dp1/psi.htm
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Claus David |
Beitrag vom 03-03-00 08:31
Hallo Martin, Nikolai, "Was ist eigentlich *Seele*? Das ist definitiv eine gute Frage. Dörner geht natürlich davon aus, dass diese formalisierbar ist. Heißt: Er setzt Seele mit Psyche mit bio-mechanischen Vorgängen gleich. Das ist natürlich für jemanden, der weiß, dass die Seele etwas immaterielles ist, völlig abwegig. Und Dörner schreibt auch einen Abschnitt in dem Buch über die Consciousness-Forschung, in der er Chalmers erwähnt. Ich hatte aber nicht den Eindruck, dass er verstanden hat, worum es geht.
Nichtsdestotrotz hat er einen recht interessanten Bauplan des Systems Mensch entwickelt. Da scheint mir ein guter Überblick zu bestehen. Mein Topic ist ja "Emotion" und da ist die Dörner-Fassung sehr interessant. Die Auffassung oder Beschäftigung mit Emotion im NLP ist für mich als gelernter Emo-therapeut völlig indiskutabel.
Es gibt indes mehrere Ansätze in der AI die menschliche "Seele" zu modellieren. Am interessantesten scheint mir die Arbeit Douglas Hofstadters und Team zu sein, die FARGonauten, bei dem auch mein Idol Chalmers mitgearbeitet hat. Das Buch dazu "Fluid Concepts and Creative Analogies" steht hier, es gibt aber einiges, was ich vorher lesen muss. Und vor allem will ich erst einmal Chalmers "The Conscious Mind" echt verstehen und die Diskussion darüber.
Außerdem gibt es täglich weitere Ansätze, die ich finde und von denen ich höre. Dörner ist interessant, weil in deutscher psychologischer Tradition. Die wesentlichen Infos sind aber alle in Artikeln auf der Webseite des PSI-Projektes enthalten. |